„Angst vor dem Absturz“ beim Handelsblatt

Das Handelsblatt war früher eine hoch angesehene und bürgerliche Zeitung. Linke Ideologie war ihr bis vor ein paar Jahren fremd. Laut GPRA-Vertrauensindex war das Blatt noch 2016 die vertrauenswürdigste Tageszeitung Deutschlands. Inzwischen verschwimmen die Unterschiede zwischen der Düsseldorfer Zeitung und den linken Vorzeigemedien wie der Süddeutschen oder der taz immer mehr. Eine Entwicklung, die auch andere einstmals bürgerliche Medien wie die Frankfurter Allgemeine oder die Welt durchgemacht haben. Auch bei ihnen hat man zuweilen den Eindruck, dass die Redaktionen die taz links überholen wollen.

Wirtschaftlich ist diese Anbiederung an den linksgrünen Zeitgeist Selbstmord. Sinn macht sie allenfalls, wenn die Häuser auf staatliche Hilfe schielen. Etwa die rund 200 Millionen Euro, die die Bundesregierung allein in den vergangenen fünf Jahren für Anzeigen in die Medien bezahlte, die geplanten 40 Millionen jährlich an Subventionen allein für Zeitungen sowie die Überlegungen, auch für gedruckte Medien etwas einzuführen wie die verpflichtenden Fernsehgebühren, also eine Art Print-GEZ (siehe meinen Beitrag „Wie die Regierung heimlich Medien finanziert“)

Dass den links gewendeten Blättern in Scharen die entsetzten bürgerlichen Leser weglaufen, ist sicher nicht der einzige, aber doch einer der Gründe für die massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen sie sich befinden. Die stets linke „Zeit“ etwa ist sich und ihrer linken Leserschaft treu geblieben und wirtschaftlich immer noch halbwegs erfolgreich. Dramatisch ist die Situation dagegen bei der Handelsblatt Media Groupm (HMG), in der neben dem Handelsblatt selbst unter anderem noch die Wirtschaftswoche erscheint. Im der HMG gibt es offenbar ein Millionenloch, und in der Redaktion geht die Angst vor Kündigungen um, wie das Fachblatt „Wirtschaftsjournalist“ berichtet, unter der bezeichnenden Überschrift: „Angst vor dem Absturz.“

Ebenso erschütternd wie die schwere Krise des Blattes ist das Schweigen der Branche darüber. Sucht man bei google news nach „Handelsblatt“ und „Millionenloch“, findet man nur eine Anzeige für den „Wirtschaftsjournalisten“ beim Branchendienst turi2, die spärliche zwei Sätze zum Thema enthält. Man muss sich das vergegenwärtigen: Eine der großen Traditionszeitungen bzw. ihre Verlagsgruppe gerät in ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten – und in den anderen Medien ist nichts zu finden darüber. Obwohl deren „Medienberichterstattung“ sonst oft die größten Nichtigkeiten vermeldet. Geht hier die Devise „eine Krähe kratzt der anderen kein Auge aus“ bzw. „wir sitzen alle im gleichen, sinkenden Boot“ über journalistische Standards? Die machen eine Berichterstattung zwingend.

Denn es gehe ums Eingemachte, teilte der Geschäftsführung der von Dieter von Holtzbrinck gegründeten Familiengesellschaft DvH Medien GmbH, Oliver Finsterwalder, den rund 1000 Mitarbeitern der Handelsblatt Group bei einem Meeting am 30. April mit. Und dass der Mutterkonzern in Stuttgart direkt das Sagen in dem Verlag mit Sitz in Düsseldorf übernehmen werde, so der „Wirtschaftsjournalist“. Demnach gestand die Geschäftsführung ein, man erlebe „seit Wochen eine Krise von Geschäftsmodellen“. Die Handelsblatt Group habe einen „signifikant negativen Cashflow“: „Das kann sich bis zur Existenzbedrohung des Hauses entwickeln.“ Dem Bericht zufolge ist das Medienhaus in Kurzarbeit. Damit wäre es zumindest indirekt von Leistungen vom Staat abhängig – also von der Institution, die es kontrollieren soll.

Offiziell hat das Handelsblatt zwar seine Auflage im ersten Quartal 2020 auf 136.400 Exemplare leicht gesteigert gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Doch in der Branche zweifeln viele erheblich an solchen Erfolgsmeldungen. Tatsächlich sind sie weniger auf „harte“, gedruckte Zeitungen zurückzuführen, sondern Onlineverkäufe. Während die Handelsblatt-Gesamtauflage heute in etwa auf dem Niveau von 2012 ist, waren davon damals rund 1000 elektronische Ausgaben – 2020 dagegen schon 80.000. Das heißt, die Druckauflage müsste folglich um fast 80.000 zurückgegangen sein auf rund 56.000 – während das Blatt selbst 2019 noch eine harte Auflage (Abo + Einzelverkauf) von 90.271 Exemplaren vermeldete. Fragen über Fragen. Branchenkenner ordnen generell bei den Print-Medien erhebliche Teile der elektronischen Auflagen dem Bereich „Dumping“ zu. Ich selbst erfuhr etwa vor Monaten durch Zufall, dass ich offiziell noch einen Zugang zum „E-Paper“ des Focus habe, für den ich bis 2015 arbeitete – also offiziell als wohl noch als Leser mitzähle, obwohl ich jahrelang gar nicht wusste, dass ich den Zugang habe, und auch kaum dazu komme, ins Heft zu sehen.

Offenbar ist dem Handelsblatt nicht nur bei den Beiträgen die Bürgerlichkeit abhanden gekommen. Geschäftsführer Finsterwalder diagnostizierte laut Wirtschaftsjournalist „eine gewisse Nonchalance“ bei den Kosten: „Ein vollkommen verlustig gegangenes Hinterfragen von Projekten und Investitionen, das in der Kultur von Holtzbrinck weder verankert noch gefordert gewesen sei“. Laut „Wirtschaftsjournalist“ eine Anspielung an die „glamouröse Ära“ von Ex-Geschäftsführer Gabor Steingart. Es werde nun „hart und schlimm“ für den Verlag, heißt es in dem Bericht. Auf der Suche nach Einsparpotentialen werde „alles von oben nach unten gedreht“. Dass Arbeitsplätze verloren gehen, sei demnach gewiss.

Laut „Wirtschaftsjournalist“ wird die ebenfalls zu DvH Medien gehörende Wochenzeitung „Zeit“ (Anteil: 50 Prozent) 2020 einen kleinen Gewinn abwerfen, der für seine linken Positionen bekannte Berliner „Tagesspiegel“ (Anteil: 80 Prozent) dagegen ebenso wie das Handelsblatt bzw. die HGM rote Zahlen schreiben. „2020 wird die HGM wohl massiv unter Wasser stehen“, so das Branchenblatt. Auch der positive Ausblick in Sachen Zeit wirft inzwischen Fragen auf. Der Verlag spricht in einer Pressemitteilung von gestern von „wirtschaftlichen Ausfällen.“

Im Zweifelsfall muss das Handelsblatt ebenso wie andere Blätter also auf Hilfe vom Staat hoffen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass so viele Zeitungen diesen bzw. die Regierung kaum noch kritisieren und allzu oft so berichten, wie es dem potentiellen Geldgeber und Retter gefällt. Könnten diese Aspekte auch der Grund dafür sein, dass die anderen Medien, von denen vielen ebenfalls das Wasser bis zum Hals steht, über die Probleme ihrer Kollegen beim Handelsblatt nicht berichten? Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass in Redaktionen mit wirtschaftlichen Problemen die journalistische Unabhängigkeit massiv leidet. Die Folgen sehen und lesen wir heute täglich.


Bilder: Pixabay

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