Beruhigungspillen statt Information

Die Tagesschau meldet auf twitter: „Es gibt laut Bundesregierung „keine Versorgungsengpässe“. Hamsterkäufe sind demnach unnötig. Bitte verbreiten Sie keine Bilder von leeren Klopapier-Regalen – das schürt unnötig Panik.“ In einem Video wird dann der Eindruck vermittelt, es sei irrationale, sich jetzt Vorräte einzukaufen. Auf der Seite von Focus Online ist die oberste Schlagzeile, in dicken Lettern: „Top-Virologe Drosten nennt Hamsterkäufe „Unsinn“.

Das meine regelmäßigen Déjà-vu-Erlebnisse mit der Sowjetunion und Russland einmal so weit gehen würden, hätte ich mir nie träumen lassen. Für mich, das das Ende der UdSSR hautnah erlebt hat, und auch die schweren Krisen danach, lösen solche Meldungen ebenso wie bei den meisten russischen und ukrainischen Freunden vor allem eine Reaktion aus: Um Gottes Willen, da muss aber wirklich etwas im Argen sein, wenn jetzt schon solche Aufrufe kommen. Nur mit viel Vernunft konnte ich meinen ersten Impuls stoppen, nach solchen Ermahnungen gleich noch einmal in den Supermarkt zu rennen. Ich habe die Videoaufnahmen aus Italien im Kopf, unendlich langen Warteschlangen vor Supermärkten zu sehen. Ich habe die völlig leeren Supermärkte in Moskau im Kopf, die ich erlebt habe.

Tatsächlich stellt einen die aktuelle Situation als Journalisten vor ein großes ethisches Problem: In der Tat wäre es gefährlich, wenn Medien Panik schüren. Sie haben in Situationen wie der jetzigen eine besondere Verantwortung. Umgekehrt bin ich zutiefst überzeugt: Wenn sie Beunruhigendes zurückhalten, wenn die Menschen den Eindruck haben, falsch informiert oder für dumm verkauft zu werden, dann schlagen diese Beschwichtigungsversuche um. Denn führt haargenau der Versuch, kurzfristig keine Panik zu verbreiten, dazu, dass mittelfristig aufgrund von fehlendem Vertrauen in die Medien allgemein genau diese Panik entsteht – auch, weil die Menschen dann lieber jeder Whatsapp-Nachricht glauben, in denen sehr viel Unsinn verbreitet wird, als den großen Medien.

Eine Überschrift wie „Hamsterkäufe sind ,Unsinn´“ ist deshalb gleich in mehrfacher Hinsicht Unsinn: Noch vor wenigen Tagen riet sogar die Bundeskanzlerin dazu, Vorräte zu haben. Dies ist auch der offizielle Rat der Bundesregierung. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe arbeitet gar seit Ende Februar an einem „Katastrophenkochbuch“ für den Notfall. Zudem ist der Begriff „Hamsterkäufe“ in diesem Zusammenhang manipulativ – denn wo beginnt der Hamsterkauf und wo endet das normale Anlegen von Vorräten? Hier wird ganz offensichtlich beides vermischt.

Das ohnehin massiv gesunkene Vertrauen in die großen Medien und die Politik, gerade wegen der fast schon gewohnheitsmäßigen Beschwichtigung, etwa in der Migrationsfrage, wird jetzt in Zeiten der Krise zu einem besonderen Problem. Es schlägt wie ein Bumerang zurück. Und ich ertappe mich selbst bei meinem Misstrauen. Und bei meinem Zweifeln – die in funktionierenden Demokratien geradezu Bedingung des Journalistenberufs sind, in der Merkel´schen Republik aber als Makel gelten. Ich verstehe nicht, wie es sein kann, dass Italien, als es dort bei 3858 Infizierten gab, bereits 148 Todesfälle hatte, Frankreich gestern bei 3661 Infizierten 79 Todesfälle, Spanien bei 4334 Infizieren 122 Todesfälle – und Deutschland bei 3675 Erkrankten nur acht. Wie kann das sein? Die Deutschen können ja kaum immun sein, und dass unsere Medizin um ein so vielfaches besser ist als in anderen Ländern, ist kaum vorstellbar? Wird vielleicht einfach weniger getestet, gerade auch postum? Und wie aussagekräftig sind dann solche Statistiken? Könnte es sein, dass Franzosen, Italiener und Spanier einfach nur ehrlicher sind? (Interessante Hintergründe dazu finden Sie hier).

Mancher wird mich angreifen, wenn ich solche Fragen stelle, gerade aus dem Kollegenkreis. Ich finde: Es ist Aufgabe eines Journalisten, sie zu stellen. Den Medien, in die nur noch wenige Vertrauen haben, sind eine Katastrophe in der Katastrophe – das habe ich in Russland hautnah erlebt. Und in Ansätzen sehe ich die gleiche Entwicklung jetzt in Deutschland.

Thomas Vitzthum schrieb gerade in der „Welt“: „Dass eine Ostdeutsche dieses Land führt, ist ein Glücksfall.“ Ich halte eher das Gegenteil für wahr – weil Merkel aus der DDR-Nomenklatura stammt. Verschweigen, vertuschen, beschönigen, tricksen – das war dort Standard. Ebenso wie der Vorrang von Ideologie vor Fakten. Warum muss ich in diesen Tagen oft genau daran denken? Etwa, wenn ich gerade diese Überschrift lese: „WÄHREND SICH NACHBARN ABSCHOTTEN Merkel blockiert harte Grenzkontrollen“. Dazu das Zitat eines Spitzenbeamten : „Sie kämpft selbst bei dieser Epidemie noch um ihr Erbe als Kanzlerin der offenen Grenzen.“ Geht Ideologie und Machterhalt über Menschenleben?

P.S.: Hier ein paar Schlagzeilen der vergangenen Wochen:

22.01.20, Süddeutsche Zeitung: Die Gefahr für Deutschland durch das Coronavirus werde von Fachleuten momentan als „sehr gering“ eingeschätzt, so ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn.

27.01.20, RP Online: Spahn: Deutschland ist gut vorbereitet

28.01.20, ZDF: Spahn ruft zu Gelassenheit auf

29.01.20, Berliner Morgenpost: Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erreichen die Fake News rund um Corona derartige Ausmaße, dass er nun davor warnt: „Gerade in sozialen Medien sind viele mit ganz eigenen Interessen unterwegs, die Bürgerinnen und Bürger verunsichern wollen“, sagte Spahn den Fernsehsendern RTL und n-tv.

29.01.20, RTL: Gesundheitsminister Jens Spahn zu Coronavirus: „Kein Anlass zu Unruhe oder unnötigem Alarmismus

29.01.20, Tagesspiegel: Laut Jens Spahn geht vom Virus nur eine „geringe“ Gefahr aus.

31.01.20, Abendblatt: Gesundheitsminister Jens Spahn warnt wegen des Corona Virus vor Panikmache

2.02.20, Zeit: Jens Spahn will Falschmeldungen zum Corona Virus entgegenwirken (Artikel mittlerweile gelöscht)

12.02.20, ZDF: Spahn zum Virus in Deutschland – Corona-Lage ist „unter Kontrolle“

25.02.20, Welt: Spahn unterschätzt das Coronavirus, glaubt ein Virologe

26.02.20, Bild: GESUNDHEITSMINISTER SPAHN SCHLÄGT ALARMDeutschland „am Beginn einer Coronavirus-Epidemie“

2.03.20, FAZ: SPAHN ÜBER DAS CORONAVIRUS Grenzschließung und Event-Absagen nicht verhältnismäßig


Bild: Screenshot AR

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