Corona – ein Scheidungsvirus?

Es war 1997, und es war einer meiner ersten Termin e als ReporternNachrichtenagentur dpa. Ein mehr wegen des Ortes als wegen des Themas interessanter Auftrag, eine Tagung des Deutschen Jugendherbergswerks, im schönen Lindau am Bodensee – von dem man in diesen Tagen in Berlin nur träumen kann. Schlagzeilen waren nicht zu erwarten. Abends beim Bier unterhielt ich mich lange mit einem Professor, der in der Familienforschung tätig war. Nach diversen Gläsern erzählte er, dass nach seinen Forschungen die Scheidungsraten nach dem Urlaub regelmäßig deutlich in die Höhe schnellen. Der Grund: Gehen Paare im Alltag zumindest an den Wochentagen und tagsüber getrennte Wege und haben so ihren Freiraum, fehlen im Urlaub meistens diese Möglichkeiten, sich zurückzuziehen. Die Enge, das Aufeinander-Sitzen, die ständige Anwesenheit der Kinder – all das sei eine massive Bewährungsprobe, die viele Paare nicht bestehen, so der Professor damals.

Ich hatte meine Schlagzeile, und meine dpa-Meldung schaffte es sogar auf die Titelseite der Bild. Jetzt in diesen Tagen musste ich an damals zurückdenken. Nicht nur an das wunderschöne Lindau, sondern auch an das Gespräch mit dem Professor, dessen Namen ich leider vergessen habe. Wie, so fragte ich mich, werden sich Ausgangsbeschränkungen und Home-Office auf das Privatleben der Menschen auswirken, insbesondere auf Paare? Und die Schließung von Kindergärten und Schulen, also Eigenbetreuung der Kinder rund um die Uhr? Ist der gleiche Effekt wie im Urlaub zu befürchten? Vielleicht noch schlimmer, da das Zusammenrücken nicht auf eigenen Antrieb und völlig unerwartet geschieht, und kein Abreisetermin feststeht? Oder vielleicht umgekehrt, nicht so schlimm, weil man ja bekanntlich in der Not zusammen rückt?

Also machte ich mich auf die Recherche im Internet. Und wurde sofort fündig. Es gibt diverse Meldungen, dass in China nach den Ausgangssperren die Scheidungsrate massiv in die Höhe sprang, allerdings kaum in deutschsprachigen, dafür aber umso mehr in ausländischen Medien. „Laut offiziellen Angaben steigt die Scheidungsrate in ganz China, nachdem ,Paare während der Quarantäne des Coronavirus zu viel Zeit miteinander verbracht haben´“, vermeldet etwa die Daily Mail und zitiert als Beleg einen Standesbeamten: „Seit dem 24. Februar haben über 300 Paare Termine für eine Scheidung geplant, sagte Lu Shijun, Beamter eines Heiratsregisters in Dazhou in der Provinz Sichuan im Südwesten Chinas… Die Scheidungsrate [im Distrikt] ist im Vergleich zu vorher [vor dem Ausbruch des Coronavirus] gestiegen .“

„Junge Leute verbringen viel Zeit zu Hause. Sie neigen dazu, wegen etwas Kleinlichem in hitzige Auseinandersetzungen zu geraten und sich schnell scheiden zu lassen“, erklärte der Beamt. Auch andere Behörden berichten von einem „bisher nicht gesehenen Anstieg der Scheidungsanträge“. Ein Faktor könnte allerdings auch sein, dass manche Scheidungswillige ihren Antrag erst verspätet einreichen konnten, da die Behörden während der Pandemie fast einen Monat lang geschlossen hatten.

„Die Wissenschaftler diskutieren darüber, ob es für Paare von Vorteil ist, Zeit auf engstem Raum zu verbringen“, führt die Daily Mail aus : „Eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab, dass Paare, die vor der Heirat zusammenlebten, im ersten Jahr niedrigere Scheidungsraten hatten als Paare, die dies nicht taten. Höhere Scheidungsraten traten jedoch auf, nachdem Menschen fünf Jahre oder länger mit ihren Ehepartnern zusammengelebt haben.“ Das klingt durchaus logisch: Mag die erzwungene Zweisamkeit für Frischverliebte noch ein Glücksfall sein, ist dieser Effekt für langjährige Paare zumindest nicht garantiert.

Kein Wunder, dass es auch in unseren Gefilden düstere Prognosen gibt. Etwa von Baroness Shackleton von Belgravia, einer der führenden Scheidungsanwältinnen in Großbritannien, zu deren früheren Klienten Paul McCartney, der Prinz von Wales, Madonna und Liam Gallagher gehörten. Sie warnte im britischen Oberhaus, dem House of Lords, laut Sky News: „Unsere Spitzenzeiten sind nach langer Exposition in den Sommerferien und über Weihnachten. Nicht auszumalen, wie es sein wird, wenn Familien für einen langen Zeitraum in einer Wohnung eingeschlossen sind.“ Wobei „Exposition“ ist eine interessante Umschreibung für ein Zusammensein von Paaren ist.

Noch weiter gingen die Warnungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wenn man der Süddeutschen Zeitung glaubt. Demnach erläuterte die Regierungschefin, warum sie so lange gezögert habe mit Ausgangsbeschränkungen, wie folgt: „Die Kanzlerin fürchtet, dass eine Ausgangssperre immer mehr Menschen in verzweifelte Situationen führen könnte, Senioren in die völlige Isolation, Familie in häusliche Streitereien…Merkel will vermeiden – und sinngemäß sagt sie das so in kleiner Runde – dass es am Ende mehr Tote durch Suizide in der Einsamkeit und Gewalt hinter verschlossenen Türen gibt als durch das Coronavirus.“Seit gestern ist Angela Merkel selbst in häuslicher Quarantäne, weil bei einem Arzt, der sie am Freitag behandelte (ob vor oder nach ihrem PR-Einkauf in der Stadt ist unbekannt), das Virus diagnostiziert wurde. Vor diesem Hintergrund bekommt die Warnung der Kanzlerin noch einmal einen ganz anderen Beigeschmack.


Bild: Pixabay

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