Die Corona-Wendehälse in Medien und Politik

Mathematik war nie mein Lieblingsfach in der Schule. Die Geheimnisse der höheren Geometrie blieben für mich selbst im Mathe-Leistungskurs allzu oft ein Buch mit sieben Siegeln. Deshalb habe ich keine fundierten Kenntnisse über die Quadratur des Kreises. Aber offenbar scheint die jetzt gelungen zu sein: Und zwar Journalisten und Politikern.

Erinnern Sie sich noch an den Januar und Februar? Zuhauf warnten da ARD und Co., dass es böse Menschen gäbe, die die Gefahr durch das eigentlich harmlose Corona-Virus maßlos aufbauschten. Gesundheitsminister Spahn, der zu dieser Zeit die Pandemie noch durch Vergleiche mit Grippe verharmloste, erklärte parallel, Verschwörungstheorien machten ihm mehr Sorge als das Virus. In vielen Medien und Teilen der Politik schien ein Konsens zu herrschen, dass Warner rechte Verschwörungstheoretiker sind.

In der Sendung „Quer“ im Bayerischen Fernsehen verspottete der Christop Süß, der seit langem mehr an einen Hofnarren erinnert als einen Journalisten oder Satiriker, kritische Stimmen zum Virus. Titel des Beitrags: „Wie ein Virus alle Vernunft zerstört“ (anzusehen hier). Süß macht sich darin mit Grimassen über Hygienemaßnahmen lustig, die heute selbstverständlich sind und deren Sinn man sich auch damals schon erschließen konnte. Zitat: „Das Corona-Virus hat Deutschland erreicht. Bisher verläuft die Krankheit bei den Infizierten harmlos. Bei Verschwörungstheoretikern und Populisten steigt die Fieberkurve hingegen steil an.“ Süß macht sich auch lustig über Forderungen nach Grenzschließungen.

Seit einigen Wochen erleben wir eine 180-Grad-Wende, die es in sich hat: Jetzt sind bei den gebührenfinanzierten Anstalten und vielen Kollegen aus der freien journalistischen Wildbahn nicht mehr die Warner rechte Verschwörungstheoretiker – sondern die Verharmloser“ des Virus.

Genau die gleichen Journalisten und Politiker, die noch vor zwei Monaten die Pandemie völlig harmlos fanden, ja sogar über sie dumme Witze rissen, feiern jetzt geradezu die Freiheitsbeschränkungen. Oft erklären sie diejenigen, die auch nur sachte Kritik oder Zweifel an diesen äußern, zu Verschwörungstheoretikern oder gleich zu Spinnern und Gestörten.

Umgekehrt gilt dieses Phänomen genauso: Es gibt genügend Leute, die ihre Meinung genauso schnell um 180 Grad geändert haben wie viele Journalisten und Politiker, nur eben in die andere Richtung.

Die Fähigkeit zur Reflexion oder gar Selbstkritik ist bei beiden Gruppen nicht zu erwarten. Der große Unterschied: Eine der beiden Gruppen müssen wir, zumindest in Teilen, mit unseren TV-Gebühren finanzieren (und eine andere über Umwege wie Steuersubventionen von 40 Millionen Euro und vielleicht auch bald Zeitungs-Gebühren nach dem GEZ-Vorbild).

Das Bayerische Fernsehen attackiert Kritiker, die sich über das Löschen eines aus heutiger Sicht peinlichen Beitrags empören, mit dem Hinweis, damals habe das alles dem Erkenntnisstand entsprochen. Wie entlarvend: Die Kollegen offenbaren damit ein erschreckendes Schwarz-Weiß-Bild, das Grautöne nicht zulässt, eine völlige Hörigkeit auf die jeweils als relevant betrachteten Quellen und eine Missachtung, ja Diffamierung von kritischen Stimmen. Die richtige Lehre aus dem Desaster wäre, leiser und vorsichtiger zu sein mit vermeintlichen absoluten Wahrheiten, Kritikern zuzuhören, Zweifel anzumelden. Statt dessen wird einfach die absolute Wahrheit ausgetauscht und weiter auf Abweichler eingedroschen.

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker schrieb auf twitter: „Mit großer Empörung habe ich gestern die unangemeldete Demonstration einer rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Mischpoke in unserer Stadt wahrgenommen.“

Faszinierend, wie es das Stadtoberhaupt schafft, in nur vier Zeilen ihre ganze Verachtung für die Sorgen der Bürger und ihre Abgehobenheit auszudrücken. Und dafür auch noch tausendfach Applaus zu bekommen.

Kein bisschen weniger Arroganz zeigen manche Journalisten. Jonas Schaible vom Spiegel-Hauptstadtbüro schreibt auf twitter: „Ich sehe jetzt schon Anzeichen, dass sich zu #Corona wieder eine revisionistische Erzählung etablieren könnte, wie 2015 („Medien und Politik haben alles nur beklatscht“) und 2016 („niemand hat Trump ernst genommen, ‚wir‘ sind schuld an Trump“). Ich rechne jedenfalls damit…“ Und: „Keine Ahnung, woher genau diese Idee ihren Reiz gewinnt, Radikalisierung entstehe immer daraus, dass sinnvolle Kritik und Sorgen nicht gehört worden wären, aber sie war 2015 falsch, sie war 2016 falsch und, für den Fall, dass sie sich verbreitet: Sie ist jetzt falsch,“ (Die Gesamtfassung in elf Teilen finden Sie hier).

Soviel Selbstgerechtigkeit und Blindheit ging in der Geschichte auf Dauer noch nie gut.


Bild: Bayerisches Fernsehen/Screenshot

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