Deutschland im Rückfall in dunkle Zeiten

Ein Gastbeitrag von Dr. Andreas Bergemann*, Hochschullehrer in den USA

Würde ich Freisinnigkeit und die unveräußerlichen Rechte des Individuums nicht schätzen, wäre ich kein guter Amerikaner. Daher haben echte (!) Querdenker bei mir immer einen Ehrenplatz am Tisch.

Doch was sich gerade in Deutschland unter dem Motto “Querdenken” abspielt, hat mit all dem wenig zu tun, sondern ist ein Rückfall in dunkle Zeiten.

Ich lebe in einem Land, in dem Covid-19 außer Kontrolle ist. Ich kenne Schwererkrankte persönlich, ich weiß von ganz realen Todesfällen WEGEN (nicht mit) SARS-CoV-2. Grausam! Wahrlich keine Grippe, sondern ein Virus, dass auch junge und gesunde Menschen erbarmungslos vernichten kann. Die unbestechliche Übersterblichkeitsstatistik ist am Ende immer die Stunde der Wahrheit. Wer das ausblendet, hat seine Tassen irgendwo, aber sicher nicht mehr im Schrank.

Ebenso wie all jene Wahnbesessenen, die in Deutschland überall Rassismus zu erkennen meinen. Das ist kollektiv ein Fall für den Psychiater. Wer real existierenden, strukturellen Rassismus erleben will, mit dem fahre ich gerne mal ins ländliche Georgia oder Alabama, bei Zeitnot tut es auch ein Trip nach Florida außerhalb der Touristenmeilen. Vor allem irritiert mich aber etwas anderes. Man will in Deutschland mal wieder Recht haben. Nicht zum Teil, nicht im Rahmen eines respektvollen Miteinanders, sondern ganz – oder gar nicht. Auf der einen Seite die Hysteriker, auf der anderen Seite die Leugner. Eins oder Null. Schwarz oder weiß. Alles oder nichts.

Das Widerlichste, Abscheulichste und Totalitärste im deutschen Wesen lebt gerade wieder auf, und man kann aus der Ferne nur daran verzweifeln, wenn man Deutschland liebt. Denn es zeigt seine Blüten in fast allen politischen Lagern. Wissen Sie, liebe Leser, es gibt da so ein Buch über einen Juden, in dessen Körper vor 2020 Jahren statt einer Seele der Allmächtige selbst inkarniert ist. Ich meine die Bibel… für die Vielen, die auf dem Schlauch stehen oder mit dem Glauben nichts mehr anfangen können. Dort heißt es im Brief des Jakobus:

“Die Ursache allen Streits

14 Wenn aber heftige Eifersucht und Rechthaberei eure Herzen beherrschen, dann lasst das Prahlen und verleumdet dadurch nicht die Wahrheit! 15 Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, menschliche, dämonische. 16 Denn wo Eifersucht und Rechthaberei herrschen, da ist nichts als Unordnung und fauler Zauber.”

Deutschland war immer stark, wenn es seine lichten Momente hatte und das Volk tolerant miteinander umging. Aber diese Momente sind leider selten. Ja, ich könnte jetzt auch ein Buch über die vielen Unsitten meiner amerikanischen Landsleute schreiben. Aber das entschuldigt nicht den geradezu obsessiven Hang der Deutschen, Recht haben zu wollen – und zwar voll und ganz.

Diese Tendenz wird immer aggressiver, auf beiden Seiten, auch wenn die eine Seite noch überwiegend nett und esoterisch beschwingt kostümiert daherkommt und ihre Grässlichkeiten mit flötender Stimme darbietet. Es ist nicht besser als die sichtbaren Fratzen des Hasses anderer in Absolutismen denkender Gruppen.

Denn machen wir uns nichts vor: Äußerliches kann täuschen, es gibt schließlich auch höfliche Nazis. Nett und höflich zu sein, ist also keine relevante Kategorie. Damit täuschen sie vielleicht Oma Ilse oder Vetter Gerhard, aber nein – totalitär bleibt totalitär. Das Resultat zählt, und da helfen dann auch keine bunten Fahnen mehr und kein esoterisches Gewäsch. Rechthaber und passiv-aggressiv feige Wohlstandsmenschen aus allen Richtungen rasen wie unaufhaltsame Züge aufeinander zu. Bei den einen ist die Maske schon gefallen, bei denen anderen wird es folgen.

Hinzu kommt eine offensichtlich völlig idiotisch agierende Regierung der Stadt Berlin, die augenscheinlich verschiedene Denkrichtungen jeweils anders behandeln lässt. Aber auch hier: Irgendeine Mehrheit hat diese Gestalten an die Macht gewählt. Das war keine “Höhere Gewalt” und auch (noch) keine gelenkte Demokratie.

Als Freigeist finde ich das Demonstrationsrecht wunderbar. Aber irgendwo ist es auch mal gut – vor allem wenn man bedenkt, dass dies zu einer Zeit erstritten wurde, als es keine andere Möglichkeit gab, sich als Volk Gehör zu verschaffen. Doch die Zeiten haben sich restlos gewandelt. Wir leben nicht mehr in der Epoche des 17. Juni oder des Prager Frühlings.

Nein!

Wir leben in einer völlig neuen Welt, in der ein blauhaariger Typ mit einem grottenschlechten YouTube-Video der größten Regierungspartei das Wahlergebnis verhageln kann. Damit sind Demonstrationen eigentlich nur noch Folklore, eine dekonstruktive zumal.

Statt eng an eng ohne Mundschutz sich einander ansabbernd zu loben, wie sehr man doch im Recht ist (egal bei was), könnte man in Zeiten wie diesen Demos im Internet veranstalten (ja, das geht!), Petitionen anstoßen und in den digitalen Austausch mit den Volksvertretern gehen. Ein Samstag in Berlin, ohne dutzende Demonstrationen, ruhig und gesellig, mit Grillen im Grünen und ein paar zu lauten Kindern im Tiergarten als Maximalpunkt eines Ärgernisses. Das ist das Berlin, das ich von früher kenne – und das ich gerne wieder hätte.

Gute Besserung Deutschland!


*Der Autor ist Deutscher und Hochschullehrer in den USA. Als Leser meines Blogs ist er mit mir in Austausch getreten. Ich schätze seine Außenansichten, auch wenn sie oft mit meinen Meinungen kollidieren. Aber Meinungsunterschiede sind die Quintessenz der Demokratie Und so überredete ich ihn, für mich zu schreiben. Da er sich aufgrund von Auflagen seines Arbeitgebers zu politischen Fragen nicht öffentlich äußern darf, erscheinen seine Artikel unter Pseudonym und sein Bild ist verfremdet. Dem Autor habe ich zu verdanken, dass ich den Beitrag über mich bei auf Pluspedia – der nicht linken Web-Enzyklopädie, entdeckt habe. 



Bild: Boris Reitschuster

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert