Dürfen sich Polizisten noch wehren?

Es ist fast schon eine Gewohnheit wie das „Same procedure as every year“ (gleiche Prozedur wie jedes Jahr) im „Dinner for one“, dem Sketch, der jedes Jahr zu Silvester ausgestrahlt wird: Kaum gibt es bei irgend einem Gewaltakt einen Hinweis darauf, dass ein islamistischer Hintergrund vorhanden sein könnte, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf wetten, dass alsbald Hinweise auf eine psychische Erkrankung des oder der Tatverdächtigen bekannt werden.

So auch jetzt im Falle des 37-Jährigen, der in Gelsenkirchen einen Polizisten mit dem Messer attackierte und daraufhin von diesem erschossen wurde. Ich finde diese Hinweise auf psychische Erkrankungen in der Form, wie sie inzwischen allgegenwärtig sind, als stammten sie aus einem Satzbaukasten für Polizeimeldungen, beschönigend: Denn in meinen Augen wird kaum jemand, der keine massiven psychischen Probleme oder Krankheiten hat, einfach so wildfremde Menschen mit lebensgefährlicher Gewalt attackieren.

Es ist erstaunlich, dass bei Gewalttaten mit radikal-religiösem Hintergrund – und ich nenne hier nicht einmal eine Religion, jeder möge sich selbst überlegen, welche ihm einfällt und warum wohl – die psychische Erkrankung fast schon zur medialen Begleitmusik gehört, bei rechtsextremer Gewalt dagegen so gut wie nie (von linksextremer Gewalt spreche ich gar nicht, da hat uns ja der langjährige SPD-Vize Ralf Stegner, der Mann, dessen Mundwinkel der Schwerkraft unterlegen sind, belehrt, dass es die gar nicht gebe – denn wenn jemand Gewalt anwende, sei er kein Linker mehr – eine herzerweichende Logik).

Ebenfalls erstaunlich ist, wie oft Gewalttäter „polizeibekannt“ sind. Das müsste eigentlich zwingend die Frage aufwerfen: Was läuft falsch in Deutschland, wenn so viele Leute zwar einschlägig bei den zuständigen Behörden aufgefallen sind, aber offenbar nicht genügend getan werden kann, um zu verhindern, dass sie wieder und wieder zuschlagen. Hierüber müsste es eine breite gesellschaftliche Debatte geben. Statt dessen wird tabuisiert, die „Einzelfall“-Mantra wird rauf und runter geleiert, und wer kritische Fragen aufwirft, scheint sich bei vielen in Politik und Medien mehr Zorn zuzuziehen als mancher Gewalttäter. Ausländische Freunde, denen ich von diesen Verhaltensmustern in Deutschland erzähle, schütteln nur den Kopf.

Im Falle von Gelsenkirchen gehen die üblichen Merkwürdigkeiten noch weiter. Warum war erst aus der Bildzeitung zu erfahren, dass der Mann bei seinem Angriff „Allahu akbar“ gerufen haben soll. Warum stand das nicht im ersten Polizeibericht, und wurde dort erst nach der Veröffentlichung der Bild aufgegriffen, wie aus dem Nachrichtenticker des Münchner Merkurs hervorgeht? Dazu gibt es nur drei Antworten:

A) Die Bild irrt

B) Man vertraut bei der Polizei den eigenen Beamten nicht, wenn es um so politisch heikle Dinge geht oder

C) Man wollte einfach nicht, dass dies bekannt wird. Dabei sind es genau solche Lücken und Verharmlosungen, die das Vertrauen der Menschen in unseren Rechtsstaat, in Behörden und Medien untergraben. Und nicht diejenigen, die genau auf diese Lücken hinweisen – und denen dann daraus ein Strick gedreht wird.

Faszinierend ist, wie in den Medien geframt wird. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland, das mehr als 50 Tageszeitungen mit einer täglichen Gesamtauflage von mehr als 2,3 Mio. Exemplaren mit Artikeln beliefert, und dessen größter Gesellschafter die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft ist, das Medienbeteiligungsunternehmen der SPD, titelte nach der Tat von Gelsenkirchen wie folgt:

Für mich klingt das ein wenig so, als müsse sich Laschet jetzt entschuldigen dafür, dass sein Polizist sich nicht hat umbringen lassen, sondern sich erfolgreich gewehrt hat. Kommt da wieder der so oft bei Linksgrünen anzutreffende Täter-Opfer-Umtausch zum Vorschein, zumindest in Ansätzen? Und warum wird der Hinweis auf die „Allahu akbar“-Rufe in der gesamten Vorschau nicht erwähnt (und die meisten Leser lesen nur diese)?

Wie es sachlicher gegangen wäre, macht der konservative Münchner Merkur vor – bei dem allerdings auch die SPD nicht zu den Mit-Gesellschaftern gehört:

Ich frage mich schon erschrocken, wann die ersten massiven Vorwürfe gegen den Polizisten aus der Politik laut werden – weil er sich gewehrt hat. In anderen Situationen, in denen Polizisten in Notwehr töteten, folgten Vorwürfe gegen die Beamten ja oft so schnell wie das Habeck-Lob in den öffentlich-rechtlichen Sendern auf jede Meinungsäußerung des grünen Gurus. Oder sind selbst die Dauer-Empörten inzwischen etwas vorsichtiger geworden, weil sie spüren, dass sie die Lufthoheit über dem von ihnen Meinungskorridor verlieren?

Wie absurd die Reaktionen auf Gewalttaten in Deutschland sind, zeigt dieser Tweet:

Hand aufs Herz: Haben Sie das zuerst auch für eine reale Reaktion gehalten, wie ich?

Die Realität übertrifft inzwischen die Satire derart, dass es Satire-Accounts wie „ZGI“ schwer haben, als solche erkannt zu werden. Ich selbst bin erst im letzten Satz, genauer gesagt beim letzten Wort stutzig geworden. Der Irrsinn ist zum Alltag geworden, die Abstumpfung enorm, und das Ende wird wohl bitter.


David gegen Goliath

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Bild: Niek Verlaan/Pixabay

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