Erstickende Bürokratie?

Es ist ein regelrechter „Krieg gegen das Ersticken“: Beatmungsgeräte sind offenbar bei der Behandlung von Corona-Erkrankten lebensentscheidend. Im Notfall hängt von ihnen ab, ein Patient gerettet werden kann, wenn seine Lunge in Folge der Erkrankung nicht mehr ausreichend Luft bekommt. An diesen Beatmungsgeräten mangelt es derzeit aber. New Yorks Bürgermeister De Blasio hat den Ernst der Lage erkannt. „Wir müssen die Fabriken finden, die Beatmungsgeräte herstellen oder dazu konvertiert werden können. Die Regierung muss das wie eine Mobilmachung behandeln. Was immer diese Fabriken jetzt tun, sie müssen ab sofort Ventilatoren herstellen. Nicht acht Stunden am Tag, sondern 24, wie in Kriegszeiten. Es ist pervers, dass dies nicht passiert.» Das Signal: Der streitbare, energiegeladene Bürgermeister will um jedes Beatmungsgerät kämpfen (englisches Original ist hier anzusehen, ab Zeitmarke 1:14:50).

Ganz anders möglicherweise in Deutschland. Ein leitender Mitarbeiter eines Herstellers von Beatmungsgeräten und Leser meiner Seite kam jetzt auf mich zu und berichtete, dass das Bundesgesundheitsministerium nach seinem Wissen bisher nur bei einem einzigen Hersteller in Deutschland verbindlich Beatmungsgeräte bestellt habe – bei Drägerwerk. Und zwar 10.000 Stück, die «im Laufe des Jahresgeliefert werden sollen. Zudem ist eine Bestellung bei Löwenstein von 6500 Geräten bekannt, mit Lieferung in den nächsten drei Monaten. Mit diversen anderen Herstellern von Beatmungsgeräten gäbe es keine Vereinbarung über Bestellungen, so der Branchen-Insider, der aus Angst um seine wirtschaftliche Existenz nicht namentlich genannt werden will. Ich konnte die Aussage offen gestanden nicht glauben.

Der Mann erzählte mir auch, dass eine Firma sogar selbst beim Gesundheits-Ministerium vorstellig geworden sei, um ihre Geräte, die allerdings noch keine Zulassung hätten, anzubieten. Es gab eine Absage, mit Hinweis darauf, dass man sich auf bewährte Therapien konzentrieren und gemeinsam mit Fachgesellschaften Therapieempfehlungen erarbeiten wolle. Das entsprechende Schreiben mit der Absage des Ministeriums liegt mir vor.

„Unsere Regierung lässt lieber Leute ersticken als bei neuen Firmen zu bestellen“, klagt der Insider. Ein harter Vorwurf. Eine nicht erprobte Technologie nicht zu verwenden, klingt zunächst logisch. Allerdings kann man auch zu einem anderen Schluss kommen, wenn man sich nach der Maxime des New Yorker Oberbürgermeisters richtet, alle verfügbaren Kapazitäten auszunutzen. Zumal der beagte Hersteller nicht erprobter Technologien, so die Auskunft, etwa auch auf die Produktion von Erprobten umstellen könnte, allerdings mit geringerer Stückzahl.

Tatsächlich scheint die Lage mit Beatmungsgeräten in Deutschland problematisch. Michael Sauerbier, Chefreporter von „Bild“ Berlin-Brandenburg, berichtet etwa: „Brandenburg hat für 2,5 Millionen Einwohner 701 Intensivbetten und 502 Beatmungsplätze, sagt Gesundheitsministerin Nonnemacher. Heißt: Brauchen mehr Patienten künstliche Beatmung, entscheiden Ärzte, wer überleben darf – und wer ersticken muss.“

Die Stuttgarter Zeitung schreibt: „Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel und Beatmungsgeräte werden dringend gebraucht. Das Land (Baden-Württemberg) will sich auf die zentrale Beschaffung durch den Bund nicht verlassen. Kreativität ist gefordert.“ In dem Artikel heißt es, es gäbe Überlegungen, Autohersteller, die gewöhnlich Pumpen herstellen, dazu zu bringen, aus diesen Pumpen einfache Beatmungsgeräte zu machen, die Menschen Luft in die Lungen pumpen, wenn ihre Atmung infolge einer von Corona ausgelösten Lungenentzündung eingeschränkt ist. Einen entsprechen Antrag eines AfD-Abgeordneten hat man im Landtag jedoch zurückgewiesen. Die Stuttgarter Traditionszeitung kommentiert die wie folgt (der Artikel steht online hinter einer Zahlschranke):

Vor diesem Hintergrund entschloss ich mich, die für mich kaum zu glaubende Information, das Gesundheitsministerium bestelle zu wenige Atemgeräte, zu prüfen, und schickte eine Presseanfrage an das Haus:

„Bitte teilen Sie mir mit, ob über die Bestellung von 10.000 Atemgeräten bei Dräger hinaus, die kommuniziert wurde, weitere Beatmungsgeräte bestellt sind, und wenn ja, wie viele und bei wem.

Bitte teilen Sie mir auch mit, ob es MDR-Erleichterungen/ein Moratorium für Beatmungsgeräte gibt.“

Die MDR ist die Medizinprodukte-Verordnung. Erleichterungen würden in der Krise die Zulassung neuer Technologien erleichtern und könnten so Menschenleben retten, so der Insider.

Die Antwort des Ministeriums:

„Sehr geehrter Herr Reitschuster,

danke für die Anfrage. Die Details der Beschaffung von intensivmedizinischen Kapazitäten, die der Krisenstab von BMI/BMG am 10. März beschlossen hat (siehe PM), werden gerade geklärt.“Mit freundlichen GrüßenIm Auftrag“

In der einzigen Pressemitteilung des Ministeriums vom 10. März, die auf dessen Seite abrufbar ist (siehe hier) und sich mit dem Krisenstab befasst, fand ich keinen Hinweis auf solche Bestellungen, nur eine allgemeine Bemerkung: „Der Krisenstab stellt die Dringlichkeit der Beschaffung von intensivmedizinischen Kapazitäten fest. Das BMG beschafft diese zentral.“

Sollte tatsächlich auf unterer Ebene im Ministerium die Beschaffung aller nur möglichen Geräte zur Beatmung von Schwererkrankten, die dringend benötigt werden, an bürokratischen Hürden scheitern, wäre das ein unvorstellbares Versagen. Es wäre dann eine dringende Intervention des Minister notwendig. Darum halte ich auch diesen Beitrag für ausgesprochen wichtig – weil es um Menschenleben gehen kann. Ich bitte um das Teilen dieser Information – nur öffentlicher Druck kann in meinen Augen dazu führen, dass die Vorwürfe überprüft und ggf. etwas unternommen wird. Nichthandeln könnte im schlimmsten Fall Menschenleben kosten

P.S.: Ich werde massiv angefeindet, weil ich kritisch über das deutsche Corona-Krisenmanagement berichte, es wurde mit „Hetze“ vorgeworfen (siehe hier). Ich bin vom Gegenteil überzeugt: Die Kontrollfunktion der Medien ist in Krisen besonders nötig. Viele Medien in Deutschland versagen daran – das ist brandgefährlich. Um so wichtiger ist es, gegen zu halten. Wenn niemand Behörden und Regierende auf ihre Fehler hinweist, können sie diese nicht erkennen und ausbessern. Der vorliegende (Verdachts-)Fall ist ein gutes Beispiel dafür


Bild: Pixabay

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