Ganz in Grün

Eigentlich sollte hier ein Kommentar zu Angela Merkels Neujahrsansprache stehen. Aber das habe ich mir verkniffen. Der Entschluss reifte, nachdem ich mich durch die siebeneinhalb Minuten durchgekämpft habe und mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass es sich um eine Ansammlung der üblichen Sprechblasen handelt, die auch ein Zufallsgenerator aus „Tagesschau“ und „heute“ hätte generieren können. Vorgetragen im Duktus einer Sonderpädagogik-Lehrerin (für Mutige hier der Link zum Video).

Wäre ich empfindlich, könnte ich Merkels Neujahrsansprache als Beleidigung meines Intellekts auffassen. Ich bin kein Kind, ich will nicht betreut denken, ich bin ein mündiger Bürger. Der entscheidende Entschluss, die Rede zu ignorieren, fiel, als ich sie, eher widerwillig, nach dem Anhören im Internet suchte, um ein paar Zitate daraus zu kopieren. Ich stieß auch sofort auf das Werk. Und kämpfte mich durch. Erst als ich dann per Suchfunktion die Stelle mit ihrem Alter suchte, und diese nicht fand, wurde ich misstrauisch. Und aufmerksamer. Und siehe da: „google“ hatte mich auf die Neujahrsansprache vom Vorjahr gelenkt – und ich habe es nicht einmal gemerkt (den Selbsttest können Sie hier und hier machen).

Eine Dauerschleife zu kommentieren, halte ich für sinnlos. Nicht einmal die Teile, in denen sie kaum verhüllt Klima-Alarmismus schürt (genauso wie im Vorjahr) und vor dem Hass warnt, den doch sie und ihre Büchsenspanner systematisch streuen, um im politischen Diskurs von Sachfragen abzulenken und Menschen mit anderer Meinung zu diffamieren.

Deshalb trete ich in journalistischen Streik in Sachen Neujahrsansprache. Mangels Substanz. Ich verkneife mir selbst den Hinweis, dass mich die Rede ein bisschen an Psychotherapie erinnert hat. Und die einzige Neugierde, die sie in mir auslöste, die war, wer alles in dem Team sitzt, das der Kanzlerin solche Reden schreibt. Schlaftherapeuten? Wanderprediger im Ruhestand? Schlangenbeschwörer? Gescheiterte Germanisten in Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen? Sprechblasen-Computerprogramme? Die beste Arbeit im ganzen Team machte meines Erachtens noch die Friseurin.

Genauso uninteressant und vorhersagbar, wie die Rede selbst, waren die kreuzbraven Berichte über sie in den öffentlich-rechtlichen und vielen anderen Medien. Wie etwa auf tagesschau.de: Die titelte Merkels Neujahrsansprache als Mutmacher (was bei kritischem Journalismus eigentlich die Frage aufrufen sollte, was denn falsch läuft, wenn Mut gemacht werden muss – und diese Frage hätte dann in einem kritischen Kommentar untersucht werden können).

Aber wie gesagt – all das ist eigentlich nicht der Erwähnung wert, und ich will meinen eigenen Streik nicht brechen und Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Hängen bleiben wird bei mir nur zweierlei: Das grüne Kleid, mit dem die Kanzlerin die Ausrichtung ihrer Politik (und Partei) auch optisch unterstreicht, und das damit den höchsten Nachrichtenwert an der Rede hatte. Und die Tatsache, dass ausgerechnet sie als Physikerin das mit dem Jahrzehnt durcheinandergebracht hat. Das neue, dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hat nämlich nicht heute begonnen, sondern wird erst in einem Jahr anfangen. Aber mit Fakten nimmt man es heutzutage (auch) im Kanzleramt nicht mehr allzu genau.

 


Bilder: Screenshot Phoenix, Screenshot tagesschau.de

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