Hart aber (un-)fair: Der Moderator als Agitator

Der Kollege und Freund, der mich heute früh anrief, ist einer der ruhigsten und ausgeglichensten Menschen, die ich kenne. So in Rage habe ich ihn noch nie erlebt. Er hatte, mehr aus Versehen als aus Masochismus, gestern in der ARD bei „Hart aber Fair“ reingezappt. Und war schon schnell außer sich: „Das war fies aber unfair“. Besonders eine Szene brachte ihn auf die Palme: Als der Deutschlandfunk-Journalist in der Runde schwere Vorwürfe erhob – und der angegriffene Unternehmer-Vertreter sich mit ruhigen, sachlichen Nachfragen wehren wollte. Dafür wurde er vom Moderator Plasberg fast schon körperlich attackiert und mit Angriffen unter der Gürtellinie mundtot gemacht. Verhinderung von sachlicher Diskussion und Aufklärung durch den Moderator, der verpflichtet wäre, genau für diese zu sorgen.

„Ich bin absolut gegen Massentierhaltung, sehr sogar“, sagte der empörte Kollege: „Aber wie in dieser Sendung mit Emotionen manipuliert wurde, wie da immer dann emotionale Bilder von Tieren eingeblendet wurden, wenn der Versuch stattfand, sachlich zu diskutieren – das ist kein Journalismus mehr, das ist Agitation.“

Die gab es auch anderweitig. Etwa mit so einer Frage an Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) von Plasberg: „Haben Sie sich ein bisschen geschämt für das, was hier in Deutschland passiert?“

Der Deutschlandfunk-Journalist Manfred Götzke berichtete von seinen Recherchen und in seinen Augen unhaltbaren Arbeits- und vor allem Lohnbedingungen in deutschen Schlachthöfen für rumänische Arbeiter. Plasberg assistierte, „wir müssen aufhören mit diesem System“. Daraufhin fragte der als Vertreter seiner Zunft anwesende Fleischunternehmer Heiner Manten den Journalisten Götzke: „Hatten Sie die Möglichkeit, in so eine Lohnabrechnung rein zu schauen? Da hätte ich nämlich gerne gewußt, ist das ein deutsches Sozialversicherungsverhältnis, oder ist das eine Versendung, die dort stattfindet?“

Eine mehr als legitime Frage. Und ein wesentlicher Sachverhalt zur Einschätzung der Lage und zur Beurteilung, wie seriös die Vorwürfe des öffentlich-rechtlichen Journalisten sind.

Grötzke war so baff, dass er nicht gleich antworten konnte. Für ihn grätschte Plasberg dazwischen: „Macht das eigentlich einen großen Unterschied, ob ein Unternehmer einen Menschen nach welchem Recht bezahlt mit 1200 Euro, wenn er die Arbeit in seinem Unternehmen in Deutschland macht? Ist das nicht ein Taschenspielertrick?“ (Minute 23.40 in diesem Video hier; Grammatik-Fehler wie im O-Ton)

Damit hat der Moderator den Journalisten Grötzke schon mal aus der Schusslinie genommen und das Überraschungsmoment der Frage zerstört.

„Ich hätte dann gerne noch gewußt, ist das Brutto-Lohn, ist das Netto-Lohn? Und wenn Netto-Lohn, welche Steuerklasse?“, ließ sich der Unternehmer nicht aus dem Konzept bringen. Erneut eine sachliche Frage in Antwort auf Plasbergs unsachlichen Einwurf.

Doch erneut schützte der Moderator den befragten Journalisten davor, antworten zu müssen. Plasberg verließ sein Pult, ging zum „Angeklagten“ Manten und plusterte sich vor ihm auf, in grober Missachtung des vorgeschriebenen Corona-Mindestabstandes: „Herr Manten, jetzt mal unter uns, ich schätze Sie sehr. Sie sind vom Niederrhein wie meine Frau, ich möchte jetzt nicht, dass das hier ein Tribunal wird!“ Wie dreist! Genau dieses Tribunal betreibt Plasberg! Es gab massive Vorwürfe in der Sendung, und als sich der Angeklagte mit sachlichen Fragen nach den Grundlagen und Belegen für diese Vorwürfe erkundigen will, wird er attackiert und seine Fragen werden ignoriert.

Schlimmer noch. Plasberg attackiert Manten unter der Gürtellinie: „Sie haben einen tollen Betrieb, Sie reden für die Fleischwirtschaft. Wenn man solche Talkshows macht, wie wir sie machen, dann passiert das oft, dass es PR-Agenturen gibt, die holen sie sich zu Rat, dann wird man gecoacht für eine Sendung! Vergessen Sie alles, alles, was Ihnen da Kollegen erzählt haben! Reden Sie für sich, als einen ehrlichen deutschen Unternehmer.“ Was für ein Schlag unter die Gürtellinie. Mieser und unfairer geht es kaum noch! Der arme Unternehmer Manten schluckt, wirkt für einen Moment wie ein Boxer, der k.o. geschlagen ist. Alles, was er getan hatte, waren sachliche, ja nötige Nachfragen. Und dafür wird er vom Moderator, der eigentlich genau diese kritischen Nachfragen selbst an den Kollegen hätte stellen müssen, zur Sau gemacht. Zum Fremdschämen.

Plasberg attackiert weiter, fast schon in Hautkontakt mit dem Angeklagten, so wie ein Polit-Instrukteur, der einen Abtrünnigen vom sozialistischen Klassenkampf in die Zange nimmt: „Ich möchte nicht, dass es Ihnen schlecht geht hier. Ich weiß, dass Sie ein feiner Kerl sind. Vergessen Sie das, was PR-Schulen für Talkshows machen, reden Sie für sich! Dann reden Sie gut!“

Hier drängt sich der Verdacht auf, dass der Unternehmer vor der Sendung Plasberg oder der Redaktion vertraulich eingestand, dass er sich schulen ließ für die Sendung – und diese vertrauliche Auskunft nun missbraucht wird, um ihn zu diskreditieren. Das wäre im Journalismus das, was für einen Anwalt Klientenverrat ist.

Dass ein Journalist und Moderator in seiner Sendung kritische Nachfragen nicht nur unterdrückt, sondern auch noch den Fragenden fast schon physisch attackiert und diskreditiert, ist bemerkenswert.

Plasberg redet sich geradezu in Rage: „Dann frage ich Sie mal, was es für einen Unterschied macht, ob 1200 brutto oder netto sind? Was ist das denn für eine Frage! Denn nach unserem Steuersystem macht das keinen Unterschied. Das ist in jedem Fall ein frecher Lohn!“ Nein, es war eine legitime Frage, Herr Plasberg! Und Sie offenbaren, wie sehr Sie sich von der Lebenswirklichkeit in Deutschland entfernt haben – dass nicht nur Steuern den Unterschied zwischen netto und brutto ausmachen, sondern auch Sozialabgaben, die auch bei niedrigen Einkommen um die 20 Prozent ausmachen, ist Ihnen wohl entfallen.

Nicht nur hier kommt ein erstaunlicher Realitätsverlust zum Vorschein. Sondern etwa auch, als sich Plasberg über die billigen Fleischpreise mokiert. Klar, wer von Gebühren lebt, kann auch Edel-Fleisch bezahlen. Als Grötzke feststellt, dass bei Gastarbeitern aus Rumänien nach allen Unkosten 600 oder 700 Euro im Monat übrig bleiben, fragt Plasberg verwundert: „Und das lohnt sich trotzdem? Das ist trotzdem ein besseres Einkommen als in der Heimat?“ Dass in anderen Ländern deutsche Wohlstands-Normen nicht gelten, scheint den WDR-Mann aufrichtig überrascht zu haben. So ein Binnenblick ist leider keine Ausnahme in der Branche – vor allem bei den fürstlich bezahlten öffentlich-rechtlichen Kollegen. Das erklärt dann auch die völlig naive Herangehensweise, etwa wenn es um die Anziehungskraft des deutschen Sozialsystems für Menschen in armen Ländern geht. Man hat oft den Eindruck, diese läge völlig außerhalb der Vorstellungswelt vieler Kollegen.

Der Unternehmer Manten fasste sich nach dem Knock-out durch die Tiefschläge schnell und blieb geradezu entwaffnend ruhig und sachlich. Als Plasberg sagte, er sei ihm zu nahe gekommen in Zeiten von Corona und endlich wieder auf Mindestabstand ging, entgegnete der Unternehmer: „Kein Problem, ich hoffe, Sie sind nicht infiziert.“

Mit Corona hoffentlich nicht, mit Agitation aber sehr wohl.

Nachdem Götzke dank Plasberg, der wie sein Anwalt und Einpeitscher agierte, lange Zeit hatte, sich vorzubereiten, musste der Deutschlandfunk-Journalist eingestehen: „Lohnabrechnungen konnte ich leider nicht einsehen.“ Dass seine Behauptungen also nackt waren, dass er damit nicht gerade seriös gearbeitet hat – das ging nun dank Plasbergs Attacken unter.

Ein weiterer Höhepunkt der Sendung war Grünen-Chef Robert Habeck, der ein Dauer-Abo für öffentlich-rechtliche Talkshows zu haben scheint – während von der wirklichen Opposition erst gar niemand in die Sendung eingeladen war. Habeck entlarvte sich, nicht nur durch die Forderungen nach staatlichen Eingriffen in Lebensmittelpreise zu deren Erhöhung: „Corona öffnet den Blick auf ein System, das so nicht weitergeführt werden kann.“ Und: „Man hat gesehen, dass Corona etwas verändert hat. Wer hätte gedacht, dass wir die ganze Wirtschaft lahmlegen, weil wir Werte, Gesundheit in diesem Fall, vor ökonomische Kreisläufe stellen.“ Das zeigt: Grünen wie ihm geht es nicht vorrangig um Umweltschutz und die Menschen, sondern um Ideologie und einen Systemwechsel. Begeisterung über das Lahmlegen der Wirtschaft, die für Millionen Menschen dramatische Folgen hat, ist zynisch und eine Ohrfeige für die Betroffenen.

Ich versprach dem Freund und Kollegen, über die Sendung zu schreiben. Auch wenn das Ansehen über die Schmerzgrenze ging. „Was hältst Du von der Überschrift ‚Der Moderator als Inquisitior“, fragte ich ihn. „Damit verharmlost Du die Inquisition!“, antwortete der Kollege. Sicher emotional übertrieben, aber ich verstehe seine Reaktion. Vor allem nachdem (!) ich mich durch die Sendung gekämpft habe. Und sein Gegenvorschlag war auch noch viel schöner als meiner: „Der Moderator als Agitator“. Wie wahr!


Bilder: Pxhere, Pixabay

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