Hygienekatastrophe: Bis zu 40.000 vermeidbare Tote Verdrängte Realitäten

Gastbeitrag von Dr. med. Marius Lazar

In Deutschland gibt es nach aktuellen Schätzungen jährlich bis zu 600.000 Krankenhausinfektionen. Das geht aus einer vom Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichten Studie hervor, über welche die Tagesschau Ende 2019 berichtet hat. Die Zahl der durch Krankenhauskeime verursachten Todesfälle liege bei schätzungsweise 10.000 bis 20.000 pro Jahr. Andere seriöse Quellen sprechen von mehr als 40.000 Toten, Opfer von Kunstfehlern noch nicht mal einbezogen. (taz, 27/02/14)

Ja, wir machen uns zurecht Sorgen um die Risiken des Straßenverkehrs (3.059 Tote in 2019) oder durch Alkoholmissbrauch (15.000 Tote pro Jahr laut Stern von 06/14). Auch Sars-CoV-2 ist nicht ohne mit bislang rund 9.300 Verstorbenen in Deutschland.

Doch sind die Todesfälle durch “Krankenhauskeime” eine Liga für sich. Denn wir sind dafür verantwortlich. Natürlich ist der Kostendruck in den Kliniken real, ok. Selbstverständlich auch die Folgen des Outsourcings kritischer Aufgaben (Putzen, Verpflegung, Sterilisation etc.) an die billigste Truppe, die am lautesten “hier” schreit.

Aber sind es nicht wir selbst auch?

Hand aufs Herz: Wie oft sterilisieren wir (außer in der Chirurgie) die Schallköpfe unserer Sono-Geräte? Wie oft sieht unser Stethoskop am Tag Alkohol? Wie oft werden Tastaturen im Behandlungsraum oder an den Geräten desinfiziert? Die Antwort erspare ich uns.

Es ist sehr leicht, mit dem Finger auf den Kostendruck zu zeigen. Selbstkritik ist schließlich unangenehm. Denn kein Mediziner bei Sinnen wird seinen Patienten absichtlich schädigen wollen. Dennoch geschieht es. Doch warum?

Ich denke, es hat kulturelle Gründe.Lange war ich in Afrika tätig, nicht nur in den netten Gegenden Südafrikas, sondern ganz platt gesagt “draußen im Busch”. Dort habe ich in den katastrophalsten Dorfkliniken einen spezifischen Unterschied erstmals in seiner vollen Tragweite verstanden: Sauberkeit und Hygiene sind nicht identisch. In den abenteuerlichsten Klitschen Zentralafrikas habe ich Kollegen erlebt, die bspw. beim Legen von Zugängen ein Maß an Hygiene an den Tag legten, das Weltklasse war – während sich irgendwelche Insekten auf dem Patientenbett vergnügten.

In Europa dagegen sehe ich saubere und wohl organisierte Krankenhäuser und Praxen, wo Krankenzimmer von externen Hilfskräften geputzt werden, die ein und denselben Lappen für alles nehmen. Pflegekräfte, die Punktionsstellen in gefühlten Millisekunden desinfizieren (obwohl man ohne Weiteres die nötigen 30 Sekunden warten könnte), dann mit nicht desinfizierten Fingern diese Stelle abtasten, bis sie die beste Vene gefunden haben.

Ich kann mir das nur so erklären, dass man in Europa von Kindertagen an lernt, dass Natur immer gut und Chemie böse ist. “Ein bißchen Schmutz hat noch keinem geschadet” hört man vor allem in Deutschland. So etwas brennt sich kollektiv in die Psyche, und damit in das unreflektierte Handeln ein.

Lassen Sie uns zumindest anerkennen, dass wir ein veritables Problem mit nosokomialen Infektionen haben. Es darf einfach nicht sein, dass wir in manchen europäischen Ländern zehn mal mehr Menschen töten als der Straßenverkehr! Oder dass die Sterblichkeit sinkt, nur weil wegen Sars-CoV-2 weniger operiert wurde (FAZ vom 20/07/2020)!

Wir müssen das ändern.

Jeder an seinem Platz.

Sofort

Dr. med. Marius W.-M. Lazar, Neurologe & Psychiater:
Siebenbürger Sachse, lange in Pretoria (Südafrika). Derzeit vor allem in Bukarest privatärztlich und telemedizinisch (EU-weit) tätig. In Nordamerika beim Aufbau eines telemedizinischen Start-Ups beratend.

Bild: David Mark/Pixabay
Text: Gast

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