Kein Impfstoff gegen Chimären

Ein Gastbeitrag von Sonja Margolina, Schriftstellerin und Autorin

Die drei letzten Generationen von Europäern lebten in Frieden. Das verschonte sie nicht vor vererbten Traumata und neuen Ängsten. Man hatte Angst vor Atomkraft, Erschöpfung der Ressourcen, DDT und sonstigen Pestiziden, Überbevölkerung, Umweltzerstörung, Waldsterben, Klimaabkühlung und Klimaerwärmung. Ängste bildeten den Boden für das Entstehen einer Zivilgesellschaft, die gegen vermutete oder eingebildete Bedrohungen kämpfte und politischen Druck ausübte.

In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden technologische Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, die etwa die für die menschliche Gesundheit wichtige Luft- und Wasserqualität nachhaltig verbessern konnten. Gleichzeitig hatte man – im Geiste des „ökologischen Imperialismus“ – schädliche Industrien in die Entwicklungsländer verlegt, wo die Gesundheit der Bevölkerung nichts zählte und billig produziert werden konnte.

Deindustrialisierung und Outsourcing, aber auch die Rekultivierung geschädigter Böden und Gewässer hatten zur Folge, dass der Zustand der Umwelt in den Industriestaaten weltweit der beste war. Das konnte man gerade in Westdeutschland sofort mit der Nase nachvollziehen, wenn der Wind aus dem Osten kam. Die Umweltverschmutzung in sozialistischen Ländern war buchstäblich ein schmutziges Geheimnis.

Die Verbesserung der Umwelt und die Kontrolle ihres Zustandes sind pragmatische Aufgaben, die gesetzliche Vorgaben und ein geschultes Personal verlangen. Anders bei eingebildeten Risiken und Zukunftsängsten, bei denen schädliche Veränderungen zwar noch nicht eintreten, die aber zwangsläufig einen globalen Charakter annehmen und in einem ungewissen, aber von Experten modellierten Zeitraum eintreten sollen.

Da kommt man mit Pragmatismus nicht weit. Die Vorsorge vor eingebildeten Risiken ist deshalb auch ein Geschäft mit der Angst, der einer ideologischen oder gesinnungsethischen Legitimierung bedarf. Je mehr in die Industrie der Welt(Klima)rettung investiert wird, umso einflussreicher wird ihre Vertretung in der Politik, umso intensiver findet Umverteilung zugunsten von Projekten statt, die die Rettung vor eingebildeten Risiken versprechen. Inzwischen ist eine riesige lobbyistische Maschine am Werk, die einen Feldzug gegen fossile Energien, Landwirtschaft und Industrie führt.

Nun ist diese Maschine über den Corona-Virus gestolpert. Zum ersten Mal seit dem 2.Weltkrieg – da hat die Bundeskanzlerin Recht – spiegelt die Angst vor der Pandemie reale Bedrohungen wieder und ist mehr als berechtigt. Zudem liegt sein Ursprung nicht im Westen, der als Urheber aller globalen Verwerfungen vom linksliberalen Mainstream am Pranger gestellt wird, sondern kommt aus einem Schwellenland, das sich nicht um Weltrettung, sondern um Weltherrschaft bemüht.

Naturgemäss hat dieses Ereignis alle anderen Ängste verdrängt. In der Hierarchie der Bedrohungen rangiert der Kampf gegen das Virus ganz oben. Ungeachtet dessen, ob die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sinnvoll, richtig oder sinnlos sind, sie werden umgesetzt. Die Corona-Pandemie hat einen Ausnahmenzustand zur Folge, der jeden Einzelnen mit zum Teil längst vergessenen, zum Teil noch nie erlebten Erfahrungen konfrontiert: der Gefahr für Leib und Leben, Einschränkungen der persönlichen Freiheit und wirtschaftlichem Niedergang.

Klimaschutz, die Reduzierung der CO2-Werte wird dadurch gleichsam gratis, als Folge der Rezession und des eingebrochenen Energieverbrauchs erreicht. Das Virus erscheint als Vollstrecker des „grünen Deals“. Vor diesem Hintergrund hoffen viele Klimarealisten und Kritiker dieses ideologischen Machwerks auf die Abkehr der erschütterten und wirtschaftlich angeschlagenen Gesellschaft von Chimären. Die Utopie der Weltrettung wurde gewogen und für zu leicht befunden.

Doch die von vielen herbeigesehnte Rückbesinnung auf reale gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen könnte sich selbst nach dem Schock der Pandemie als illusionär erweisen. Schon haben die Grünen sich geweigert, die Einführung der CO2-Sondersteuer aufzuschieben. Um nicht vergessen zu werden, meldet sich Greta aus der selbst gewählten Quarantäne mit der Mutmaßung, sie hätte Corona, könne das aber ohne den Test nicht belegen.

Mit schwerem Geschütz rückt der ehemalige Leiter der PIK und Urheber der „Großen Transformation“ Hans Joachim Schellnhuber an. Ihm schwebt eine Art „Klima-Corona-Vertrag“ vor, der insbesondere für das Verhältnis der Generationen zu einander stehen soll. „Derzeit wird sehr zu Recht von den jüngeren Teilen der Bevölkerung Solidarität mit den Älteren eingefordert, die ja viel stärker durch das Virus gefährdet sind. Umgekehrt sollten die Älteren beim Klima Solidarität mit den Jüngeren üben, denn Letztere werden die Folgen der Erderhitzung in ihrem Leben viel stärker spüren“.

Die Idee, auf der Pandemie zu reiten, um Hierarchie der Ängste angesichts der Omnipräsenz des Virus wiederherstellen zu können, erscheint wie eine Flucht nach vorne der Klima-Lobby. Der Corona-Notstand, der zum Einbruch der Wirtschaft führt, soll quasi vom darauf folgenden permanenten Klimanotstand als „grüne Transformation“ gekrönt werden.

Man kann sich lebhaft vorstellen, was geschehen würde, wenn die von Schellnhuber eingeforderten Maßnahmen während der sich anbannenden Rezession umgesetzt werden würden. „Man sollte beispielsweise den Kohlestrom in Deutschland schon weit vor 2038 durch erneuerbare Energien verdrängen, Autos mit Verbrennungsmotor nur noch bis 2030 zulassen und nicht zuletzt das Bauen mit Stahlbeton zügig durch Holzbau ersetzen. Holz speichert nämlich große Mengen an CO2 über Jahrhunderte. Außerdem müssen die Preissignale für die Klimagase viel drastischer ausfallen: Stellen Sie sich vor, wir würden gegen die exponentielle Virus-Dynamik mit einer Corona-Steuer vorgehen, die erst 2021 eingeführt würde und dann ganz gemächlich anstiege – absurd. Die Pandemie ist nach Schellnhuber ein Brandbeschleuniger für Klimaschutz.

Besondern unerträglich erscheint die im „Corona-Klimavertrag“ eingeforderte Klimasolidarität seitens der älteren Generation. Mag die ideologisch verblendete Jugend das nicht wahr haben wollen und den falschen Propheten auf den Leim gegangen sein, ändert ihre Selbsttäuschung nichts daran, dass sie es viel schwerer haben wird als die, die heute von Corona besonders stark betroffen sind.

Tatsächlich hat Corona eine Ausnahmesituation geschaffen, nach deren Ende die Prioritäten neu sortiert werden müssen. Die Klimaneutralität, die mit der Zerstörung der Gesellschaft und ihrer materiellen Grundlagen erkauft werden soll, gehört vermutlich nicht dazu. Es kommt darauf an, ob die Gesellschaft sich willenlos in die Misere treiben lässt oder Abwehrkräfte gegen verantwortungslose Chimären der Weltrettung zu stärken vermag.


Sonja Margolina, geboren 1951 in Moskau, ist eine russisch- deutsche Publizistin und Schriftstellerin. Ihr Buch Rußland. Die nichtzivile Gesellschaft“ ist für mich das beste Werk über die Sowjetunion. Für mich ist sie eine der großen Denkerinnen unserer Zeit – und ich bin sehr stolz, heute diesen Gastbeitrag von ihr auf meiner Seite zu haben. Die Bücher von Sonja Margolina empfehle ich auf das Wärmste (zu finden sind sie hier)


Anbei mein Wochenbriefing:

Guten Tag aus Berlin,

geht es Ihnen auch so in diesen Tagen? Man hat den Eindruck, man lebe mit einem völlig anderen Zeitgefühl: am 10. März war ich noch zum Unterrichten in meinem Institut in Hamburg. Das ist noch keine drei Wochen her – und doch fühlt es sich so an, als ob das in einem ganz anderen Zeitalter, ja in einem anderen Leben gewesen wäre. Zumindest gefühlt ist seitdem fast alles umgekrempelt. Die Arbeit, das Privatleben, die kleinen Dinge des Alltags. Und eben auch das Zeitgefühl.

Dabei hüte ich mich, zu klagen: Wie sehr sich das Leben für Menschen etwa in den Rettungsdiensten, in der Medizin oder bei der Polizei verändert hat, wage ich mir kaum vorzustellen. Ebenso wenig, wie sich jetzt alle Menschen fühlen, deren Existenz massiv gefährdet ist, etwa in der Gastronomie oder in anderen Berufen, die besonders stark von der Krise betroffen sind und deren Einkünfte jetzt völlig weg brechen.

Insofern wäre es nicht angebracht, sich über die eigene Verluste zu beklagen, und über die Herausforderungen, vor die einen die neue Zeit als Journalisten stellt. Aber doch muss man sie zumindest thematisieren. Ich bin überzeugt, dass die Krise uns Veränderungen bringen wird, die wir uns in ihrem Ausmaß im Moment noch schwer vorstellen können. Gerade auch wirtschaftlich – so wie jetzt unzählige Milliarden aus dem Ärmel geschüttelt werden, kann ich mir nicht vorstellen, wie mittelfristig eine Hyperinflation verhindert werden soll bzw. eine Währungsreform. Ich fürchte, so wie unsere Großeltern einst von der Vorkriegs- und der Nachkriegs-Zeit sprachen und so ihr Leben unterteilten, könnte es uns mit Corona gehen.

Ich glaube, wir alle ahnen das in unserem Innersten. Weil es aber so wehtut, ist die Versuchung sehr groß, es zu verdrängen. Deshalb haben jetzt auch viele Konjunktur, die verbreiten, alles sei in Wirklichkeit gar nicht so schlimm, und das Virus ungefährlich. Einer der Gründe, warum so viele Menschen solche Geschichten glauben, ist, dass das Vertrauen in Medien und Politik massiv erschüttert ist. Aus gutem Grund, leider. Auch ich würde daran sehr gerne glauben, dass das Virus in Wirklichkeit ungefährlich ist. Mein Bruder, ein erfahrener Arzt, hat diese Hoffnung für mich aber leider weitgehend platzen lassen. Er hat mir sehr anschaulich erklärt, dass nicht die Gefährlichkeit des Virus an sich entscheidend ist – da gebe es wirklich schlimmere – sondern die Gleichzeitigkeit des Auftretens (nachzulesen hier).

www.reitschuster.de/post/keine-unnötige-panikmache
Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass Schweden eine ganz andere Taktik auswählt, die Beschränkungen sind dort minimal. Wenn man strikt alles zu Ende denkt, kann das eigentlich nur zwei Dinge bedeuten: Dass entweder die Schweden einen fatalen Irrtum begehen und eine Katastrophe erleben werden – oder unsere Maßnahmen total überzogen sind. Ich bin kein Virologe und kann diese Frage nicht beantworten. Ich kann nicht mal beantworten, ob es nicht auch noch ganz andere Erklärung gibt für all die zahlreichen Widersprüche, die wir im Moment erleben, etwa die unterschiedlichen Todesraten in Deutschland, Italien und Spanien.

Als Journalist ist man in diesen Tagen auf einem schmalen Grat unterwegs zwischen Verantwortungsbewusstsein und der Grundaufgabe eines jeden Journalisten – kritisch zu sein und die Mächtigen zu kontrollieren. Das ist umso notwendiger, weil eben die Nachrichtenlage so widersprüchlich ist. Und weil deshalb die Gefahr besteht, dass Grundrechte zu Unrecht oder zu lange eingeschränkt werden. Wir alle müssen hier extrem wachsam sein und dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen!

Man muss sich gerade in so schweren Zeiten noch mehr als sonst selbst hinterfragen. Und so stelle ich mir regelmäßig die Frage, ob ich mit meiner massiven Kritik an den Kollegen gerade vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht zu harsch bin. Deshalb war es sehr wichtig für mich zu erfahren, dass auch Medienwissenschaftler hier eine genauso kritischen Sichtweise haben wie ich. So berichtete etwa der Deutschlandfunk – obwohl selbst öffentlich-rechtlicher Sender, dass der Medienwissenschaftler Otfried Jarren die Berichterstattung des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens scharf kritisiert: „Seit Wochen treten immer die gleichen Experten und Politiker auf, die als Krisenmanager präsentiert würden…dadurch inszeniere das Fernsehen zugleich Bedrohung und exekutive Macht – und betreibe „Systemjournalismus“. Vor allem der Norddeutsche Rundfunk falle durch eine ,besondere Form der Hofberichterstattung´ auf.“

Auch Medienjournalisten kritisierten eine Gleichförmigkeit in der Berichterstattung über das Coronavirus. So schrieb Andrej Reisin im Portal Übermedien, auch in Krisenzeiten sei es nicht die Aufgabe der Medien, den verlängerten Arm der Regierung zu spielen und Kampagnen à la „Wir vs. Virus“ zu inszenieren, wie es etwa die Tagesschau in sozialen Medien getan habe.

Im Deutschlandfunk Kultur forderte die Medienjournalistin Vera Linß, im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Coronavirus die Themen Überwachung und Datenschutz stärker in den Fokus zu nehmen. Auch Linß kritisierte, viele Journalisten schienen sich derzeit dazu verpflichtet zu fühlen, die Krisenstrategie der Bundesregierung weitgehend kritiklos zu transportieren – „als eine Art Service-Journalismus“.

Das andere meine Kritik teilen, ist für mich ein Ansporn: Ich werde deshalb auch weiter sehr kritisch die Arbeit der Kollegen und der Regierung in dieser Krise hinterfragen. Wie etwa dieses Wochenende, als der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) sich umbrachte und die Frankfurter Allgemeine in einem ersten Bericht schrieb, in einem Abschiedsbrief habe Schäfer von „Aussichtslosigkeit“ gesprochen, die er gesellschaftlich, aber auch bezogen auf die wirtschaftliche Lage des Landes sehe. Kurz darauf war diese Stelle klammheimlich verschwunden aus dem Artikel in der der FAZ. Spätestens damit war es auch ein medienpolitisches Thema. Und auch öffentlich von Belang, weswegen ich darüber berichtete (siehe hier) – während in den meisten Medien gar nicht oder nur am Rande davon berichtet wurde.


Bilder: WIX

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