Ketzerbekämpfung 2.0

Ich bin tief entsetzt über das Klima an Intoleranz, Hass, Verdrängung, Infantilität und Schwarz-Weiß-Denken, das sich in Deutschland breit gemacht hat. Auf allen Seiten – und leider gerade auch von jenen, die sich den Kampf gegen Intoleranz auf die Fahnen geschrieben haben. Ich habe Bericht über die Ängste einer Frau veröffentlicht, der ich zufällig begegnete.* Und auf die ich bei meinen Veranstaltungen quer durchs Land ständig stoße.* Entstanden ist daraus ein Glaubenskrieg, es gab massive persönliche Diffamierungen.

 

Einer meiner fb-Freunde schrieb mir, ich hätte mir „keinen Gefallen“ getan mit dem Post und solle quasi „widerrufen“.

Als Journalist ist meine Aufgabe nicht, mir Gefallen zu tun – ich bin der Wahrhaftigkeit verpflichtet, dem Hinterfragen, dem Zweifeln, dem Kritisieren der Mächtigen, dem Perspektivenwechsel. Dem Widerspruch.

 

Diese Lektion habe ich von meinem guten Freund, dem Dissidenten und Schriftsteller Wladimir Woinowitsch übernommen, der mich sehr geprägt hat. Er, der offen dem Sowjetsystem Widerstand geleistet hat und dafür mit Mordanschlägen und Ausbürgerung bezahlen musste, hat mir, bevor er vor wenigen Wochen leider verstorben ist, war und ist mein großes Vorbild. Allein schon ihm gegenüber fühle ich mich verpflichtet, Unangenehmes auszusprechen, auch wenn man sich damit unbeliebt macht.

 

Als Woinowitsch zu Sowjetzeiten das System kritisierte, wurde er als Faschist, Spinner, Nestbeschmuter und Verrückter denunziert. Er musste um sein Leben fürchten. Ich könnte mir nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich meine Meinung nicht mehr offen aussprechen würde – um so mehr als wir im Gegensatz zu Woinowitsch in einer Demokratie leben, in der man zwar inzwischen leider für unbequeme Meinungen Hass, Verleumdung und berufliche Nachteile riskieren, aber weder um seine Freiheit noch sein Leben fürchten muss.

 

Allein schon die Reaktionen von einigen – die in der Minderheit sind – auf meinen Post zeigt, wie berechtigt meine Sorgen sind, dass sich ein massives Klima der Intoleranz breit gemacht hat in Deutschland. Besonders bitter ist es, dass diese Intoleranz auch diejenigen massiv an den Tag legen , die sich selbst als Kämpfer für Toleranz, Vielfältigkeit und Buntheit sehen. Aber die drei erwähnten Tugenden können keine Einbahnstrasse sein.

 

Viele sind der Meinung, das Erwähnen von Ängsten ist gefährlich für die Demokratie. Ich habe in meinem Post meine Meinung ausgedrückt – dass es umgekehrt ist und Verschweigen unsere Demokratie gefährdet. Beides sind legitime Meinungen. Man muss die jeweils andere aushalten können. Dass dies vielen offenbar nicht mehr möglich ist, und sie statt zur Debatte zu persönlichen Angriffen greifen, zeigt, wie vergiftet das politische Klima ist.

 

Der Historiker Heinrich August Winkler mahnte erst kürzlich in der Welt, die deutsche Debattenkultur trage „leider immer noch Schlacken der absolutistischen Zeit“: Es gäbe „auch eine Art von intellektuellem Absolutismus, die typisch ist für Staaten, die eine lange absolutistische Vergangenheit haben.“ Winker: „In Deutschland gibt es in der Debattenkultur noch immer Spuren der Parole: „Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag’ ich dir den Schädel ein.“ Und weiter: „Diese Art von politischer Debatte im Geiste der Religionskriege ist ein Stück der deutschen Pathologie.“

 

Was Beifall von der falschen Seite angeht – wenn ich meine Meinung nach dem Beifall richten würde, hätte ich meinen Beruf verfehlt. Ich habe den Großteil meines Erwachsenenlebens in einem System gelebt, in dem siebzig Jahre lang Kritik an den herrschenden Zuständen damit abgebügelt und diskriminiert wurde, dass sie dem Klassenfeind helfe. Meine Lektion daraus: Man muss seine Erkenntnisse und Ansichten offen aussprechen, darf nicht unterscheiden zwischen „nützlichen“ und „unnützlichen“ Erkenntissen – und sich diese Unterscheidung erst recht nicht von anderen vorsagen lassen.

 

Würde ich nur Putin kritisieren und den Mund halten über die Missstände hierzulande (auch wenn sie in keiner Relation stehen zu dem russischen Unrechtsstaat) – ich könnte mir nicht mehr in den Spiegel schauen.

 

Mich konnten weder Morddrohungen noch Prügel und Festnahme in einem KGB-Staat davon abbringen, meine Meinung offen zu sagen. Um so weniger werden mich „Religionskrieger“ – um bei Winklers Wortwahl zu bleiben – zum Schweigen bringen.

 

Wenn ich als Journalist bequem würde, anfinge, auf Widerspruch und Kritik an den Regierenden zu verzichten, wenn ich als Privatperson aufhören würde, zu zweifeln und zu hinterfragen, wenn ich zu der Überzeugung käme, die richtige Meinung und die Moral gepachtet zu haben – dann müsste ich wirklich dingend schweigen.

 

Was unsachliche Kritik angeht, sehe ich diese als Ermutigung, denn ich halte es mit dem großen Karl Kraus, der einst einen der klügsten Sätze sagte, die ich kenne: „Was trifft, trifft auch zu.“

 

*) Ich reise permanent durchs Land, von der Nordsee bis Sonthofen, von Frankfurt an der Oder bis Aachen. Bei den unzähligen Vorträgen gibt es kaum einen ohne solche Stimme und Klagen über Ängste. Geäußert werden sie meistens nicht öffentlich, sondern nach dem Vortrag, im privaten Gespräch, wenn man zusammensteht, und sie treffen in der Regel auf breite Zustimmung. Und das bei einem in der Regel sehr bürgerlichen, gesetzten Publikum (in dem der Vertrauensverlust in die Medien übrigens gewaltig ist – eine extrem erschreckende und gefährliche Entwicklung!). Es ist also nicht sehr wahrscheinlich dass es sich nur um einzelne Verrückte handelt, die solche Ängste haben – wie das in manchen Kommentaren nahegelegt wird. Wer ständig mit solchen Aussagen bzw. Ängsten konfrontiert wird, hat kein Recht darüber zu schweigen. Zumindest, wenn er Journalist und das auch bleiben möchte. Und sich nicht als Ideologe oder Erzieher seiner Leser empfindet.

 

Wichtig ist auch zu verstehen, dass Ängste etwas sehr subjektives sind. Vielen Franzosen, Russen etc. scheint die deutsche Angst vor Kernkraft sehr lächerlich, ebenso die vor Klimawandel, Ozonloch, Gentechnik, Verletzung von Datenschutz etc. Ich finde es für dreist und anmaßend, sich zum Schiedsrichter zu erheben und zu sagen, welche Ängste zulässige Ängste sind (über die berichtet werden darf) und welche nicht (und über die deshalb geschwiegen werden muss). Wenn Journalisten und Politiker sich diese Entscheidung anmaßen, wird es gefährlich (wobei umgekehrt das Anheizen solcher Ängste noch gefährlicher ist). Wichtig ist: Ängste, die massiv verbreitet sind, sind ernst zu nehmen. Anzusprechen. Und ggf. ernsthaft, aber offen zu entkräften statt zu tabuisieren und pathologisieren.

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