Macht endlich wieder Journalismus!

In meinen 16 Jahren als Korrespondent in Moskau habe ich meinen russischen Freunden und Bekannten immer gesagt: „Wenn Ihr Abends die Nachrichten im Fernsehen anschaut, und dort immer nur hört, was in anderen Ländern alles schlecht läuft, was für schlimme Fehler die Regierungen dort machen, und wenn dann gezeigt wird, dass bei Euch eigentlich alles recht gut läuft – von ein paar kleinen Fehlern abgesehen, und dass Eure Regierung alles eigentlich ganz gut im Griff hat, wenn Ihr von der Opposition nichts hört oder die mehr kritisiert wird als die Regierung, dann ist die Demokratie am Ende! Das wäre bei uns in Deutschland nicht denkbar, da wird auch in den Fernsehnachrichten die eigene Regierung durch den Kakao gezogen, die Finger in die Wunden gelegt, und die Opposition kommt ausführlich und fair zu Wort!“Heute müsste ich eigentlich jeden meiner Freunde und Bekannten, denen ich so etwas erzählte, anschreiben und mich entschuldigen. Weil ich mich geirrt habe. Weil wir heute in Deutschland genau mit diesen Phänomenen zu tun haben, die ich in Russland erlebte. Eine russisch-jüdische Freundin von mir sagt, sie kann die Nachrichten von ARD und ZDF nicht mehr sehen, weil die sie an das sowjetische Fernsehen ihrer Kindheit erinnern: „Heldenhafte eigene Regierung, böse ausländische Regierungen“. So weit, ARD und ZDF mit dem Sowjetfernsehen gleich zu setzen, würde ich nicht gehen, und ich widerspreche ihr. Zumindest die Methoden sind andere; geschickter, smarter. Aber die Tendenz ist eindeutig. Und sehr besorgniserregend.

Ebenso erschreckend ist, wie viele Menschen sich in unserem Lande an die Hofberichterstattung und Propaganda gewöhnt haben, sie für die Norm halten. Und den Journalisten, die Ihre Aufgabe – Kritik und Kontrolle der Regierenden – noch ernst nehmen, „Hetze“, „Hass“ und „Merkel-Bashing“ vorwerfen. Das ist eine Orwell´sche Vergewaltigung und Umdeutung der Sprache. Und viele gehen ihr auf den Leim.

Die klassische Definition von Propaganda im Duden lautet wie folgt: „Systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o. ä. Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein in bestimmter Weise zu beeinflussen.“ Hand aufs Herz: Klingt das nicht genau wie eine Beschreibung dessen, was wir täglich bei ARD, ZDF und vielen – nicht allen -Medien erleben? Wobei es bei privaten Medien wie Spiegel und Zeit eine freie Entscheidung der Leser ist, sich dem auszusetzen; nicht so bei öffentlich-rechtlichen, gebührenfinanzierten Sendern, die zur Neutralität verpflichtet sind und nur daraus den Anspruch auf Gebühren erheben. Sie haben die Idee, die hinter dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk steckt, pervertiert!

Da das Kritisieren für einen Journalisten so sehr Teil des Berufes und Selbstverständnisses ist wie für einen Zahnarzt das Bohren, – ich weiß, wovon ich rede – suchen sich heute viele Kollegen ein Ersatz-Ziel für ihren beruflichen Basis-Instinkt: Donald Trump, Boris Johnson, Viktor Orban, ja die gesamten mitteleuropäischen Länder, die ein Gegenmodel zum linksgrünen Neobiedermeier der Merkelschen Republik bilden (von der AfD gar nicht zu reden – was würden die Kollegen ohne die tun!). Ja, all diese Politiker machen Fehler. Ja, über all diese Fehler kann, ja muss man berichten. Aber wenn die Berichte über deren Fehler gefühlt 90 Prozent der kritischen Berichterstattung ausmachen und die über Fehler der eigenen Regierung gefühlt zwischen null (bei heute und Tagesschau) und zehn Prozent (bei anderen Sendungen und Berichten), dann ist etwas gehörig aus dem Lot geraten.

Es hat etwas von manischer Besessenheit, wie hier der Splitter (oder durchaus auch das Brett) vor dem fremden Auge ständig gesucht, gefunden und angekreidet wird, aber das Brett vor den eigenen Augen geflissentlich weggeblendet wird. Die Liste der Beispiele wäre sehr lang. Aber nur zwei, aus diesen Tagen, aus dem Spiegel, der in meiner Jugend für mich das Ideal des Journalismus war und heute ein abschreckendes Beispiel dafür, was kein Journalismus mehr ist, sondern ideologische Glaubenskämpferei.

Die Schlagzeile von gestern (links zu sehen) klingt für mich wie eine Spiegelung. Man ersetze in dieser Spiegel-Meldung „Fox“ durch „Öffentlich-Rechtliche“, Trump durch „Merkel“ und „politisieren“ mit „aussitzen.“ Aber solche kritischen Töne gegenüber der eigenen Regierung und den eigenen Kollegen könnte man sich im Spiegel – und in vielen anderen deutschen Medien – gar nicht mehr vorstellen. Warum? Was ist falsch gelaufen? Ich bin journalistisch sozialisiert worden in einer Zeit, als sich Helmut Kohl und die Medien im journalistischen Kriegszustand befanden. Der Kanzler wurde kritisiert auf Teufel komm raus – fast wie heute die Opposition. Für mich war das der Normalzustand.

Als ich dann 2012 nach Deutschland zurückkehrte aus Moskau, erkannte ich nicht nur mein Land, sondern seit 2015 vor allem auch meinen Berufsstand in vielen Fällen nicht mehr wieder. Aus den Wadenbeißern von einst sind unter Merkel Schmusetiere geworden. Nicht wiederzuerkennen. In der Sowjetunion gab es den Spruch: „Partei und Volk sind eins“. In vielen deutschen Medien scheint heute zu gelten: „Merkel und Medien sind eins“. Es muss irgend eine große Verschmelzung stattgefunden haben, von der ich in Moskau nichts mitbekommen habe. Und auch die Übergänge zwischen Politik und Medien wurden so fließend, dass sie früher jeder für unanständig gehalten hätte: Merkels Sprecher Uli Wilhelm wurde Intendant des Bayerischen Rundfunks und dann auch noch turnusmäßig Vorsitzender der ARD. Zwei von meinem Focus-Kolleginnen, die immer durch sehr merkelfreundliche Berichterstattung aufgefallen waren, machen jetzt das Gleiche, was sie früher in der Redaktion machten, in offiziell anderer Funktion: Als Sprecherinnen der Kanzlerin. Und viele andere scheinen schon Schlange zu stehen bzw. so zu schreiben und zu berichten, dass sie den gleichen Rollenwechsel machen können.

Mich kotzt das an – entschuldigen Sie die Grobheit meiner Sprache, aber ich finde keinen passenderen Ausdruck. Ich habe sie satt, diese ganzen aalglatten, windkanalgeformten Damen und Herren, die allabendlich bei ARD und ZDF wie Gebetsmühlen immer das gleiche DIN-A-Merkel genormte Informationsmaterial verbreiten, statt Journalismus zu betreiben. Mir fehlen die kauzigen Typen, die gegen den Strom schwimmen, die mal eine andere Meinung haben, die auch mal überraschen, die nicht vorhersehbar sind, die sich nicht für unglaublich mutig halten, weil sie genau das sagen, was von ihnen erwartet wird. Wo sind die Querdenker auf der Mattscheibe? Die Hausers, die Löwenthals, die Gottliebs? Wo sind die nicht politisch (Selbst-)Kastrierten?

Gerade in der Krise brauchen wir die kritischen Stimmen! Gerade in Ausnahmesituationen ist kritischer Journalismus eine zwar schmerzhafte, aber unverzichtbare Realitäts-Rückkoppelung für die Regierenden, ein Fehler-Frühwarnsystem. Und ausgerechnet die viel gescholtenen USA zeigen, wie es geht. Obwohl Trump schon im Januar Flüge aus China stoppte, während bei uns noch im März unkontrolliert Menschen aus dem Iran und dem Reich der Mitte einreisen konnten, hat der US-Präsident, ebenso wie unsere Regierung, massive Fehler gemacht. Doch Trump steht – anders als die Bundesregierung – im Kreuzfeuer der Kritik von Medien und Opposition. Und genau das zwingt ihn, ständig seinen Kurs zu justieren und Fehler zu korrigieren. So funktioniert Demokratie – bzw. eben nicht. Wie in Deutschland, wo die Obrigkeitshörigkeit wieder erschreckende Züge annimmt, wie gerade auch in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen war. „Deutschland ist durchpädagogisiert“, so die Diagnose da. Wie richtig! Und gerade auch, weil sich so viele Journalisten weniger als Kontrolleure der Mächtigen sehen denn als Volkserzieher, also Pädagogen, die das latent zum „Nazi“-Sein (neudeutsch für nicht-links) neigende, dumme Volk auf den richtigen – linken – Weg bringen müssen.

Als ich gerade Spiegel Online öffnete (und ich muss das tun, beruflich, ich muss mir als Journalist sogar die Tagesschau ansehen und Reden von Merkel und Steinmeier, genauso wie ein Klempner Dinge ansehen und anfassen muss, bei denen er das lieber nicht tun würde, aber es ist der Beruf – und man wundert sich über Menschen, die all das freiwillig tun), stieß ich auf diese Überschrift:

„Corona-Pandemie – Wie Trump die USA in den Corona-Kollaps treibt“ Und darunter: Durch das desaströse Krisenmanagement des Präsidenten steht Amerika vor einem beispiellosen ökonomischen Crash. Erlebt die Welt die Implosion einer Supermacht?Kollegen, fasst doch mal alle den Mut, den Ihr vielleicht irgendwo in der Hosentasche oder im Keller noch durch den linksgrünen Neobiedermeier gerettet habt, zusammen und macht doch mal so eine Überschrift über Merkel: „Wie Merkel und Co. die Bundesrepublik in den Corona-Kollaps treiben“. Und weiter: „Durch das desaströse Krisenmanagement der Bundesregierung und der EU steht Europa vor dem Zusammenbruch und einem beispiellosen ökonomischen Crash.“

Wetten, dass Sie so etwas nie lesen werden beim Spiegel? Künftige Historiker werden sich den Kopf zerbrechen, wie aus einer freien, mutigen, bissigen Presse binnen relativ kurzer Zeit eine zu weiten Teilen – Gott sei Dank nicht gänzlich – gleich getaktete Medienlandschaft geworden ist, in der viele Medien, vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen, eher an Informationskrieger in autoritären Regimen erinnern als an Journalismus in freiheitlichen Demokratien. Wie all das offenbar weitgehend freiwillig, ja in vorauseilender Unterwerfung geschehen konnte. Ich denke, es hat sehr viel mit der linken Ausrichtung einer überwiegenden Mehrheit der Journalisten zu tun (konservative Menschen gehen eher in andere, auch besser bezahlte Berufe), die in Merkel ihre Mutterfigur entdeckt haben. Die Erlöserin, die aus der in Augen dieser linken Journalisten – ich war bis zu den 16 Jahren in Russland selber einer – bösen CDU endlich eine moderne – linksgrün kompatible – Partei gemacht hat, Deutschland mit ihrer Politik der offenen Grenzen von der Ursünde befreit, endlich den Traum von Multikulti hat Wahrheit werden lassen und dem Sozialismus, wenn auch in verändertem, neuen, modernen Gewand wieder eine Chance gibt.

Merkel und die Medien – da ist zusammengewachsen, was nicht zusammenwachsen darf. Die untertänige Lodhudelei für die Kanzlerin, die fast hysterischen Attacken auf ihre Kritiker (siehe hier) – jedem Beobachter von außen, der nicht abgestumpft ist durch Gewöhnung wie viele Inländer, sticht diese unheilige Allianz ins Auge.

Der Schaden ist immens.

Es wird eine Generationenaufgabe sein, die kritischen Bürger wieder Vertrauen in die Medien gewinnen zu lassen – und die Merkelianer daran zu gewöhnen, dass Kritik an der Regierung keine Ursünde, keine Hetze und kein Hass ist – sondern verdammt noch mal die Aufgabe jedes Journalisten, der seinen Beruf auch nur halbwegs ernst nimmt.

Daher meine Bitte an diejenigen Kolleginnen und Kollegen, deren politische „Haltung“ auffallend synchron ist mit der von denen, die den Zugang zu Futtertrögen und Karrierechancen in den Redaktionen und in der Politik gewähren: Besinnen Sie sich darauf, dass Journalismus, der den Regierenden nicht weh tut, kein Journalismus ist, sondern Hofberichterstattung. Daran ändern auch keine Ersatzhandlungen etwas – ob es nun Kritik an Trump, Johnson, der AfD und der FDP ist.

Kehren Sie zurück zum Journalismus!

Und meine Bitte an diejenigen, die schon heute gegen den Strom schwimmen – und das sind gar nicht wenige: Machen Sie weiter so, lassen Sie sich nicht verunsichern von all den (bizarrerweise oft sehr hasserfüllten) Attacken derjenigen, die Kritik nicht von Hass unterscheiden können, die diffamieren, verunglimpfen, denunzieren. Man muss diese Attacken als Auszeichnung auffassen, als Bestätigung, ins Schwarze zu treffen, getreu dem alten Spruch des weisen Karl Kraus: „Was trifft, trifft auch zu“.


Bild: Pixabay

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