„Mensch zweiter Klasse“?

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel von der Einreise nach Deutschland sprach auf ihrer Pressekonferenz am Montag, ließ sie einen wichtigen Punkt weg: Sie sprach von Berufspendlern, und von „denjenigen, die beruflich unterwegs sind“, denen man „den freien Reiseverkehr“ garantieren müsse, und von „den vielen, die vielleicht auch nach Deutschland zurückkehren“. Dass unsere Grenzen bis auf diese Ausnahmen für (fast) jedermann geschlossen sind, auch für EU-Bürger, aber gleichzeitig für eine Gruppe weiter offen bleiben – für Asylbewerber – ließ die Kanzlerin weg. Und sie wurde von den anwesenden Journalisten auch nicht danach gefragt.

Dass Verschweigen mag seine Gründe haben. Gestern Abend beschwerte sich ein befreundeter Bauarbeiter bei mir: „Das kann doch alles nicht mehr wahr sein, ich darf hier aus Berlin nicht einmal mehr zu meinem Vater, der über 80 ist, nach Mecklenburg-Vorpommern, wo ich auch selbst geboren und aufgewachsen bin, wo ich ein eigenes Haus habe mit 3000 Quadratmetern Grund, die ich ja bewirtschaften muss, aber ich kann nicht mal mehr frei über eine Grenze zwischen zwei Bundesstaaten fahren – und gleichzeitig darf jeder, der an der Staatsgrenze Asyl sagt, noch ins Land? Ich komme mir als Bürger für völlig blöd verkauft vor, und behandelt wie ein Mensch zweiter Klasse. Bitte schreib das, ich will, dass die Leute das wissen!“Mein Freund klagte, dass die Nachrichtenlage völlig undurchsichtig sei, mal veröffentliche das eine Ministerium, man dürfte enge Verwandte besuchen, dann dementieren das wieder andere, und es herrsche Chaos. Ich entgegnete dem Freund, dass es doch für seinen Vater besser sei, wenn er ihm fern bleibe. Er antwortete, er habe doch dort sein eigenes Haus, habe sichere Masken, und würde auch Abstand halten – nicht nur von seinem Vater, sondern auch von allen anderen. Ich verwies auf das Grundgesetz, auf das Asylrecht, aber mein Freund ist gut informiert, und sagte mir: „Das gilt aber doch nur, wenn die nicht aus einem sicheren Drittland kommen!“ Spätestens an diesem Punkt konnte ich ihm nicht mehr widersprechen.

Tatsächlich ist die Lage absurd. Und die politische Sprengkraft enorm. Während für EU-Bürger das Grundrecht der Freizügigkeit zwischen den Staaten ausgesetzt ist, ja selbst zwischen den Bundesländern, ja teilweise bis zur Haustüre,während etwa Frauen aus östlichen EU-Staaten, die in Deutschland Rentner pflegen, damit rechnen müssen, an der Grenze abgewiesen zu werden,dürfen Nicht-EU-Ausländer ungehindert in unser Land einreisen –wenn Sie nur an der Grenze „Asyl“ sagen. Und das, obwohl das Asylrecht laut Grundgesetz tatsächlich nur gewährt wird, wenn der Antragsteller nicht aus einem sicheren Drittland kommt – und Deutschland von sicheren Drittländern umzingelt ist.

Zudem drängt sich auch die Frage auf, wie das Verfahren in der Praxis umgesetzt wird – etwa, wenn am Flughafen einem Nicht-EU-Bürger die Einreise verweigert wird, und er dann, weil er etwa dringende persönliche Gründe hat, zur Erzwingung der Einreise „Asyl“ sagt. Wie gehen die Behörden damit um?

Die Absurditäten gehen noch weiter: Menschen mit Zweitwohnsitz etwa in Mecklenburg-Vorpommern dürfen derzeit ihr Eigentum dort nicht nutzen – wie etwa ein lungenkranker Ex-Beamter (siehe mein Bericht hier) oder die Schriftstellerin Monika Maron, die faktisch ausgewiesen wurde (siehe Schreiben links) Im März hatten die Behörden sogar eine Mutter von drei Kindern – allesamt deutsche Staatsangehörige – über Nacht aus ihrem Haus in Mecklenburg-Vorpommern verwiesen und zurück nach Frankreich geschickt, wo sie bei ihrem Mann ihren offiziellen Erstwohnsitz hat. Erst als die Frau auf halbem Weg die Medien einschaltete, bekam sie eine Sondergenehmigung und durfte zurück (siehe Bericht hier). Hier drängt sich geradezu die Frage auf: Wie verhältnismäßig ist es, wenn ein Staat der es oft jahrelang nicht schafft, abgelehnte Asylbewerber und Kriminellen auszuweisen, nun bei normalen, rechtschaffenen Bürgern Bürgern genau das mit massiver Härte durchsetzt.

Gleichzeitig ist in Medien zu lesen, Michael Keller arbeite derzeit von seiner Datsche in der Uckermark – also gar nicht so weit entfernt von der Datsche des lungenkranken Rentners, der sie nicht besuchen darf – weil sie jenseits der Landesgrenze liegt und nicht mehr in Brandenburg wie die Datsche Kellers, der seinen Wohnsitz in Berlin hat. Einem Brandenburger Landkreis hat das Potsdamer Verwaltungsgericht untersagt, ebenso wie Mecklenburg-Vorpommern Zweitwohnungs-Besitzer ein Einreiseverbot zu erteilen. Wie ist solche mittelalterlich anmutende Kleinstaaterei mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren?

Solche Merkwürdigkeit gibt es auch in der Asylpraxis: Statt Anhörungen gibt es bei neu ankommenden Asylbewerbern nur noch schriftliche Anträge. Gleichzeitig betont das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber, diese ausschließlich schriftlichen Anträge seien amtlich gar keine „schriftlichen Asylanträge“ im Sinne des § 14 Abs. 2 AsylG, sondern eine persönliche, also mündliche, Antragstellung (siehe Bericht hier). Juristische Spitzfindigkeiten, die Gerichten und Fachanwälten wohl viel Arbeit bescheren werden. Auf Nachfrage bestätigte ein Sprecherin des BAMF die Praxis und begründete sie mit der „gebotenen Vermeidung von Kontakten“. Derzeit konzentriere sich das Bundesamt „im Asylbereich auf Entscheidungen nach Möglichkeit ohne Durchführung von Anhörungen.“ In besonderen Fällen insbesondere mit Sicherheitsbezug fänden auch weiterhin Anhörungen statt, Hierbei kämen „mobile Teams zum Einsatz“.

Zu den aktuellen Zahlen von Asylbewerbern antwortete eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums auf meine Anfrage: „Im Monat Februar 2020 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 8.137 förmliche grenzüberschreitende Asylerstanträge gestellt, im März 2020 waren es 5.440 förmliche grenzüberschreitende Asylerstanträge.“ Zum Vergleich: Im Januar 2020, also vor der Corona-Krise, gab es 10.004 grenzüberschreitende Asylerstanträge.

Zum Prozedere teilte die Sprecherin mit, es gebe „keine Anweisung an die Bundespolizei, Asylbewerber an der Grenze generell abzuweisen.“ Es erfolge bei allen Staatsangehörigen – ob EU-Bürger, Drittstaatsangehörige oder Deutsche – eine individuelle Prüfung, inwieweit

Gesundheitsvorsorgemaßnahmen erforderlich sind. Künftig gelte für alle, die nach einem mehrtägigen Auslandsaufenthalt nach Deutschland einreisen, dass sie sich 14 Tage in Quarantäne begeben müssten: „Das gilt auch für Asylbewerber. Die Bundespolizei kontrolliert an allen Grenzen, stationär oder mobil im Grenzraum“, so die Sprecherin.

Derweil gab es in Deutschland diverse Demonstrationen bzw. Versuche dergleichen für „Flüchtlinge“, also dafür, Migranten ins Land zu holen. Die Demonstranten verstoßen damit gegen die Auflagen im Zuge der Corona-Krise. Im Namen der aus ihrer Sicht guten Sache setzen sie also die Gesundheit, im schlimmsten Fall das Leben ihrer Mitmenschen aufs Spiel. Das ist wohl die größte Absurdität in dem ganzen Themengebiet.


Bild: PXHERE

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