Häme in Uniform statt Bürgernähe

Offener Brief von Boris Reitschuster

Grüß Gott, Herr Polizeipräsident!

Nach 16 Jahren in Moskau ist mir, wenn ich mit der Polizei zu tun habe, nur selten zum Lachen zu Mute. Sie haben es jedoch geschafft. Mit Küchenpsychologie wie aus einem bayerischen Schwank. Ihre Kollegen schreiben mir auf twitter, ich würde weinen, wenn ich einen Vornamen lese.

Spannend! Wenn Sie mehr über meine Tränendrüse wissen als ich, freue ich mich auf Details. Vielleicht erspart das ja eine Routinekontrolle beim Augenarzt.

Erfrischend finde Ihre Erkenntnis, dass ich „wilde Theorien“ habe. Als Mann in reiferen Jahren fasse ich das als Kompliment auf. Was Sie genau mit „spekulieren» meinen, ist mir indes rätselhaft. An der Börse? Und „Filterblase“? Genauso wie meine Tränendrüse hielt ich meine Blase bislang für durchschnittlich, und ungefiltert.

Aber zur Sache. Ihre Zeilen sind eine Antwort auf folgenden tweet von mir:

„Nach dem Messerangriff auf einen Polizisten in #München schrieben viele Medien, der Angreifer war Deutscher. Mich wunderte die schnelle Angabe der Nationalität – sonst ja eher unüblich. Jetzt hat die Bild ein Foto des Verdächtigen veröffentlicht.“

Dieser Text war verlinkt mit einem Artikel in der Bild-Zeitung, und so war darunter folgende Vorschau zu sehen:

Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sie in die Stalin-Schnurrbart-Falle getappt sind. Die geht auf einen Witz zurück, der in Russland sehr bekannt ist. Und berüchtigt: Der legendäre und geniale Marschall Schukow brummt nach einer Visite bei Stalin „Arsch mit Schnurrbart“ vor sich her. Stalin-Sekretär Poskrjobyschew, die Inkarnation des Speichelleckers und Denunzianten, schnappt das auf und rennt sofort zu seinem Chef, um zu petzen: „Schukow hat Sie gerade Arsch mit Schnurrbart genannt“. Stalin lässt sofort Schukow rufen, ist außer sich vor Wut. „Er hat Arsch mit Schnurrbart gesagt“, petzt Poskrjobyschew. Der geniale Schukow findet nach einer Schreckenssekunde sofort wieder zu sich und entgegnet betont ruhig und gelassen: „Ja, Genosse Stalin. Und ich habe selbstverständlich Hitler gemeint.“ Sodann dreht sich Schukow kühl zu Poskrjobyschew um: „Wen haben denn Sie gemeint?“

Daher die Frage: Was haben Sie in der Pressestelle des Polizeipräsidiums München denn gemeint, als Sie den tweet und das Bild gesehen haben? Sie schreiben von „wilden Theorien“. Ich war es jedenfalls nicht, der bei dem tweet „wilde Theorien“ hatte.

Mein Tipp: Wenn man allzu viel korrekte Haltung zeigen will, besteht auch immer die Gefahr, dass die nicht zu schönen Karrieresprüngen führt, sondern dass man einen Bauchplanscher hinlegt. Und sich selbst entlarvt. Daher rate ich zu bajuwarischer Gelassenheit, was Gesinnung und Haltung von Bürgern und Journalisten angeht.

Aber jetzt einmal ganz im Ernst: Ich hätte mich über eine sachliche Reaktion auf eine sachliche, nachdenkliche Aussage gefreut. Und ich finde es schade, dass die Münchner Polizei dieses ernste Thema ins Lächerliche gezogen hat. Ich habe das Gefühl, dass Sie sich der in meinem tweet aufgeworfenen Problematik sehr wohl bewusst sind. Und leider nur derart hilflos reagieren konnten. Dabei denke ich, dass jeder Bürger erwarten kann, vom Dienstleister Polizei (menschen-)würdig behandelt zu werden und sachliche Reaktionen zu erhalten. Unterstellungen, Häme und Küchenpsychologie sind da wenig hilfreich.

Aber was mir noch viel wichtiger ist: Ich wünsche Ihrem verletzten Mitarbeiter eine schnelle und vollständige Genesung. Und danke ihm und allen Beamten im Dienst an der Alltagsfront für Ihren Einsatz, vor dem ich höchsten Respekt habe, und für den ich dankbar bin.

In diesem Sinne ein bayerisches

pfiat Gott

Boris Reitschuster


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