Zerr-SPIEGEL

Postfaktische Russland-Berichterstattung im SPIEGEL? Kein Wunder, dass Augstein so vor Putin-Sympathie strotzt, wenn das Journal nicht mal einen einfachen Bericht zur so genannten Präsidentschaftswahl 2018 hinbekommt. Schon die Überschrift und der Vorspann sind irreführend. Ich habe 20 Fehler und irreführende Infos gefunden, sowie fünf fehlende Aspekte. Keiner der Fehler ist per se dramatisch – in ihrer Gesamtheit verzerren sich jedoch die Realität. Also kein absichtliches Verbreiten von Postfaktischem, aber eine naive Herangehensweise, die die Leser in die Irre führt. Hier meine Fehleranalyse: (Link zum Originalartikel: http://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-bei-den-wahlen-2018-sucht-das-land-den-superzar-a-1185116.html)

LÜCKEN – Was fehlt:

  • Massive Kritik der Opposition, die die Wahlen als Farce bezeichnet

  • Hintergründe für den Ausschluss Nawalnys, den Kreml-Kritiker für vom Kreml befohlen und politisch manipuliert halten, insbesondere Hinweis auf Aufhebung eines Urteils gegen ihn durch Europäischen Menschengerichtshof; auch fehlt der Hinweis, dass nach Ansicht von Kritikern selbst ein Ausschluss wegen einer Vorstrafe gegen die russische Verfassung verstösst.

  • Massive Steuerung der Medien durch den Kreml zu Gunsten Putins

  • Massive Unfairness im Wahlkampf zu Gunsten Putins (Beispiel hier)

  • Hintergrund, warum Putin als „unabhängiger“ Kandidat antritt

  • Die Polizei wird bereits jetzt instrumentalisiert, um gegen die Opposition vorzugehen (Link)

 

 

 

FEHLER UND IRREFÜHRENDE INFOS:

Überschrift: „Russland sucht den Superzar“
Falsch, weil bei den Wahlen nichts gesucht wird, sie sind eine Inszinierung einer Wahl wie die Volkskammerwahlen in der DDR

 

Einleitung: „An diesem Mittwoch gab der bisherige offiziell seine Kandidatur bekannt.“

Irreführend, weil er die Kandidatur bereits vor Wochen bekannt gegeben hat – dass er heute nun „offiziell“ tat, spielt allenfalls formal eine Rolle

 

„Nur das Volk ist der Quell aller Macht“, sagte Wladimir Putin am 18. März 2014. 

Einen Artikel mit so einem Zitat eines Autokraten anzufangen, ohne das näher zu erläutern bzw. sich zu distanzieren, ist irreführend.

 

 

„Auf den Tag genau vier Jahre nach der Annexion der Krim, am 18. März 2018, werden Millionen Russen einen neuen Präsidenten wählen. Es gilt als ausgemacht, dass Putin das Rennen macht, sich von seinem Volk die Macht wieder einmal per Votum übertragen lässt.“
Irreführend, da es eine Wahl-Imitation wie eine echte Wahl beschreibt.

 

„Wer die rund 140 Millionen Menschen von 2018 bis 2024 regiert, wird vermutlich bereits im ersten Wahlgang am 18. März 2018 geklärt sein“

Nein, es ist bereits jetzt klar: Wladimir Putin wird sich den Wahlsieg zuschreiben.

 

„Falls Wladimir Putin im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit erzielen sollte, gebe es noch die Möglichkeit einer Stichwahl im April.
Diese Möglichkeit ist bei vom Kreml gesteuerten Wahlen ausgeschlossen.

 

„Der repressiv regierende Putin..:“
Euphemismus für eine Diktatur.

 

 

„Sollte Putin die kommende Wahl gewinnen, dauerte seine offizielle Amtszeit sechs Jahre lang bis 2024…“

„Sollte“ ist ein Euphemismus für gesteuerte Wahlen

 

„Sollte Putin die kommende Wahl gewinnen, dauerte seine offizielle Amtszeit sechs Jahre lang bis 2024. Danach wäre erst mal wieder Schluss – Putin müsste dann erneut eine Wahlperiode aussetzen.“““
Er könnte genauso gut die Verfassung ändern (lassen).

 

„Der russischen Wahlkommission zufolge müssen Bewerber dieses Mal ihre erforderlichen Unterlagen für die Kandidatur zwischen 27. Dezember 2017 und 31. Januar 2018 abgeben. Innerhalb von zehn Tagen nach Einreichung der Unterlagen muss die Wahlkommission dann über Zulassung oder Ablehnung entscheiden. Bei einer Ablehnung muss der Kandidat noch am selben Tag über die Entscheidung informiert werden.“
Irreführend ohne Hinweis auf die massive Steuerung der Wahlkommission durch den Kreml und viele Missbrauchsfälle in der Vergangenheit.

 

„Wer sind die Herausforderer?“
Welche Herausforderer? Ernst zu nehmende Kremlkritiker halten die gesamte Wahl inklusive der so genannten „Herausforderer“ für inszeniert; nur vom Kreml ausgewählte Kandidaten durften demnach antreten.

„Die Kommunistische Partei hat etwa den bislang unbekannten Pavel Grudinin aufgestellt, einen 57-jährigen Maschinenbauer.“
Irreführend ohne auf die enge Zusammenarbeit der Kommunisten mit dem Kreml hinzuweisen.

 

„Er leitet der Nachrichtenagentur Reuters zufolge seit Mitte der Neunzigerjahre eine Farm nahe Moskau.“
Irreführend. Er leitert eine „Sowchos“, was so ziemlich das genaue Gegenteil einer „Farm“ ist.

 

„Auch der Rechtspopulist und glühende Nationalist Wladimir Schirinowski will sich um das Amt des Präsidenten bewerben – zum sechsten Mal.“
Irreführend.  Schirinowski ist ein eng mit dem Kreml zusammenarbeitender Politik-Clown.

 

„Auch Alexej Nawalny wollte eigentlich gegen Wladimir Putin antreten – darf aber nicht… Der offizielle Grund: Der langjährige Kreml-Kritiker ist vorbestraft.“
Kein Hinweis auf den politischen Hintergrund des Ausschlusses und darauf, dass der Europäische Menschengerichtshof bereits ein Urteil gegen ihn aufgehoben hat – das ist irreführend. Auch fehlt der Hinweis, dass nach Ansicht von Kritikern selbst ein Ausschluss wegen einer Vorstrafe gegen die russische Verfassung verstösst

 

Zu Sobtschak: „Kritiker glauben, der Kreml habe nichts gegen die Kandidatur von Sobtschak, deren Wahlkampfslogan:“
Kritiker gehen noch viel weiter und halten ihre Kandidatur für mit dem Kreml abgesprochen.

 

 

„Russland steht wirtschaftlich vor großen Aufgaben. Zwar verkraftet das riesige Land den Ölpreisabsturz und die von der EU verhängten Sanktionen besser als erwartet.“
Darüber kann man streiten. Was fehlt ist ein Hinweis auf Putins Gegensanktionen – die Einfuhrverbote für Lebensmittel – unter denen die Menschen am meisten leiden.

 

„im zweiten Quartal 2017 stieg das Bruttoinlandsprodukt erneut.“
Hier wäre ein Hinweis auf das massive Sinken zuvor nötig.

 

„Auch außenpolitisch hat der neue – mutmaßlich alte – Präsident eine Vielzahl an Herausforderungen: Der Konflikt in der Ostukraine,..:“
Von einem „Konflikt“ zu sprechen bei mehr als 10.000 Toten ist zynisch. Es ist ein Krieg.

 

„ Bei einem Besuch in dem Bürgerkriegsland verkündete er Anfang Dezember einen Teilabzug der russischen Armee aus Syrien.“
Irreführend ohne den Hinweis, dass dies bereits zuvor versprochen wurde.

 

 

 

 

 

 

 

 

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