Umgekehrter Relotius-Effekt

„Die Schuld liegt nicht allein bei Relotius…, sondern in der Mentalität der Redakteure und Leser. Relotius erzählte ihnen, was sie erwarteten und über Amerika hören wollten – ein Paradebeispiel für motiviertes Denken.“ Brillante Analyse in der FAZ. Leider ist es mit Russland ähnlich. Dass Putin kein lupenreiner Demokrat ist –

 

 

darüber herrscht Konsens. Aber dass der KGB im Schulterschluss mit der Mafia die Macht erobert hat, und Kriegsstimmung schürt – das wollen sehr viele nicht hören. Auch in vielen Redaktionen. Viele schätzen Putin – weil er ein US-Feind ist. Und vermeintlich „Linker“ (was für eine Fehleinschätzung!)*. Das Ergebnis ist ein umgekehrter Relotius-Effekt: Viele Menschen meinen, Putin würde bei uns schlecht geschrieben (vielgehörter Vorwurf bei Vorträgen: „Ihr Journalisten verleumdet Trump, Ihr verleumdet die AfD, und Sie verleumden jetzt Putin). Das Absurde: Im Gegensatz etwa zu Trump und der AfD wird Putin eher mit Feigenblättern bedeckt. Bei vielen Gelegenheiten geben Putins Lobbyisten den Ton an. Wer Kritik nicht sachte und gebremst vorträgt, wird dagegen schnell ausgegrenzt, als „radikal“ oder „russlandfeindlich“ diskriminiert. Der Effekt: Eine Verzerrung der Realität. Leider kann ich heute ganz gut verstehen, wie jemand, der weder Russisch kann noch Russland kennt, und auch nicht die Zeit hat, sich zu dem Thema tiefer zu informieren, gutgläubig zum Putin-Versteher wird. Empfänglich für die Relativierungen einer Gabriele Krone-Schmalz. Und ich bin sehr positiv überrascht, wie viele „Putin-Versteher“ im Gespräch oder im Vortrag sehr offen sind für Argumente. Zitat eines Vortrags-Besuchers: „Ich muss mein Russland-Bild revidieren. Warum erfahre ich das, was Sie berichten, nicht den Fernsehnachrichten und in den Talkshows?“** 

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*) Martin Malekfragte: „Martin Malek Wie schlecht muss man eigentlich informiert sein, um Putin fuer einen „Linken“ zu halten?!“
Meine Antwort:
„Never underestimate the power of denial“ (Dr. House). Obwohl Putin für einen entgrenzten, mafiösen Kapitalismus steht, der genau dem ähnelt, was ihm in seiner KGB-Ausbildung als „böses westliches System“ vermittelt wurde, hat er immer doch die Sympathien von vielen westlichen Linken auf seiner Seite. Zum einen wohl, etwa bei vielen aus der Partei „DIE LINKE“, aus altem Reflex gegenüber allem, was mit Russland/Moskau zu tun hat. Aber auch wegen seiner Sowjet-Nostalgie, Wieder-Einführung der alten Sowjet-Hymne, Stalin-Nostalgie etc.. Putin bietet Projektionsflächen für alle, die sich nach Sozialismus sehnen. Genauso wie für Konservative, Christen, Rechte, etc.. KGB-Schule. Diese Chamäleon-Taktik zu durchschauen viele bei uns zu naiv sind. Oder zu sehr im Wunschdenken verhaftet.
**) In meiner Antwort wies ich darauf hin, dass auch das, was ich sage, im Fernsehen durchaus zu finden ist – aber doch eher in einzelnen Sendungen und zu späteren Zeiten. Wer nicht gezielt nach Information sucht oder überhaupt viel Zeit für Nachrichten verwendet, kommt als Fernsehzuschauer eher zu dem Schluss, dass Putin zwar eher autokratisch herrscht, aber man ihn eben doch verstehen müsse, weil Russland so schlecht behandelt wurde. Und die Demokratie im Westen ja auch nicht überall lupenrein sei.

 

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