Was Corona alles entlarvt

Einer der Begleiteffekte einer jeden ernsten Krise ist, dass man Menschen besser erkennt. In Momenten der Not wird der Lack der Zivilisation deutlich dünner – und zuweilen kommt zum Vorschein, was sonst mehr oder weniger erfolgreich unterdrückt wird. Ganz besonders trifft das auf die sozialen Netzwerke zu. Scheinen die Hemmschwellen für die Aggression dort auch sonst leider geringer als im normalen Leben, fallen sie im Zuge der Corona-Epidemie bei vielen offenbar völlig weg. Im Zweifelsfall kanalisiert sich die angestaute, verdrängte Angst dann in Aggression. Und die richtet sich gegen den, der die Verdrängungsmechanismen gefährdet, indem er auf Probleme hinweist – oder etwa auf Fehler der als vermeintliche Retter angesehenen Regierenden. Ich persönlich musste deswegen die Notbremse ziehen und habe viele der aggressiven Pöbler blockiert – was ich bisher vermeiden wollte, angesichts der wachsenden Aggression aber unumgänglich war, um ein normales Diskussions-Klima zu erhalten.*

Interessant sind die unterschiedlichen persönlichen Reaktionen im Umgang mit dem Virus. Viele flüchten sich aus der Realität, etwa in Verschwörungstheorien, und reden sich ein, alles sei in Wirklichkeit gar nicht schlimm, und werde nur aufgebauscht (sehr anschaulich beschrieben hier im Corona-Blog von Ekaterina Quehl). So schläft es sich ruhiger. Andere wiederum verfallen regelrecht in Panik, teilweise über Nacht, und trauen sich gar nicht mehr aus dem Haus. Besonders verstörend ist, wie fließend der Übergang zwischen diesen beiden Extremreaktionen – Negieren und Panik – zuweilen ist, und wie stark dabei oft die Logik leidet. In beide Richtungen: Da werden die schrecklichen Bilder aus Norditalien ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass die Lebensgefahr für Jüngere minimal ist. Man kann in diesen Tagen zuweilen das Vertrauen in den menschlichen Verstand verlieren. Und muss an Oscar Wilde denken, der sagte: „Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen, das immer dann die Ruhe verliert, wenn von ihm verlangt wird, daß es nach Vernunftgesetzen handeln soll.“

Corona entlarvt auch menschliche Abgründe in der Politik. Etwa, wenn sich Volksvertreter angesichts eines Notprogramms noch brüsten, über wie viele Milliarden sie zu entscheiden hatten im Bundestag. So wie der SPD-MdB Fritz Felgentreu auf twitter – siehe Bild rechts. An Arroganz und Abgehobenheit ist das kaum zu überbieten. Und das von vielen nicht einmal mehr erkannt – Felgentreu bekam für seinen Tweet noch tausendfach Applaus, und wer ihn kritisierte, wurde angepöbelt. Bitter, was aus der einstigen Partei der kleinen Leute SPD geworden ist – was allerdings auch vor Corona schon deutlich sichtbar war.

Viel weitreichendere Folgen als solche menschlichen Schwächen haben die bürokratischen (Fehl-)Strukturen, die jetzt durch Corona besonders offensichtlich werden: Es gibt viele Hinweise darauf, dass die Milliarden aus den Hilfsprogrammen in den Strukturen versickern, statt rechtzeitig bei den Notleidenden anzukommen: „Den goldenen Worten folgt kein Geld – Bürokratie und Banken blockieren die Hilfen“, schreibt etwa Ex-Wirtschaftswoche-Chef Roland Tichy.

Faszinierend ist, wie die Halbwertszeit zwischen dem Abtun von Neuigkeiten als „rechter Verschwörungstheorie“ und ihrer offiziellen Bestätigung gegen null sinkt. Etwa zwischen Merkels Versicherung, eine Grenzschließung bringe nichts – und der Grenzschließung wenige Tage später. Noch im Februar sagte Gesundheitsminister Jens Spahn, seine größte Sorge in Sachen Corona seien Verschwörungstheorien. AfD-Politiker und andere, die warnten, wurden lächerlich gemacht oder diffamiert, von Politik und Medien, während der Gesundheitsminister seinerseits noch ausgerechnet davor warnte Infizierte auszugrenzen. Corona entlarvt auch, wie gefährlich es ist, wenn Ideologie Vorrang vor Fakten und gesundem Menschenverstand hat.

Das Virus zeigt zudem, wie wenig wir aus der Geschichte gelernt und wie oberflächlich die Bekenntnisse zu Demokratie und Rechtsstaat sind – zumindest bei vielen in Politik und Medien. Im Zuge der Corona-Krise hebelte der Bundestag im Eilverfahren wichtigste Grundlagen unserer Verfassung und Grundrechte aus – und viele Medien nahmen es kaum zur Kenntnis, auch die wichtigsten Nachrichtensendungen in ARD und ZDF. Schlimmer noch: Die Krise macht deutlich, wie obrigkeitsfixiert viele sind, wie sie nach autoritärer Führung geradezu lechzen. Ich hätte das vorher kaum für möglich gehalten. Etwa, wenn Oppositions-Politiker wie Christian Lindner von der FDP plötzlich Merkel mit Lob geradezu überschütten. Dieses Demokratie-Immundefizit erschreckt mich mehr als das Virus.

Auch die EU wird durch das Virus als Papiertieger entlarvt. Wo sonst in Dauerschleife die europäischen Werte gepredigt werden und keine Sonntagsrede vergeht, ohne die Einheit zu preisen, kehren im Moment der Krise fast alle Länder zu nationalstaatliche Regelungen zurück und isolieren sich. Die Italienischen Behörden beklagen sich bitter, dass sie die EU-Partner im Stich gelassen haben – während etwa China und Russland halfen. Viel spricht dafür, dass auch die EU zu einem Opfer von Corona werden könnte – allerdings nur, weil sie schon vorher nicht mehr gesund war. Helfen würde nur eine Radikalkur in Form umfassender Reformen.

Das Virus offenbart auch das Maß an Gleichtaktung in unserem Journalismus. Insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Die Tagesschau in der ARD und heute im ZDF verlaufen in diesen Tagen immer nach einem Muster, das man von Nachrichtensendungen in autoritären Staaten kennt, etwa aus der Sowjetunion: Da wird vermeldet, was die deutsche Regierung alles spitze macht, wie gut die Lage bei uns ist, und dann kommen als Kontrast Schauergeschichten, was die Regierungen in den anderen Ländern alles völlig falsch machen und wie schlimm dort die Lage ist. Kritik am Krisenmanagement im eigenen Land? Berichte über schlimme Zustände in Arztpraxen, bei Notrufen, bei Krankenhäusern? Fehlanzeige. Ein hochrangiger Beamter sagte mir diese Tage: „Die machen alles, wie gewünscht, um die Bevölkerung einzustimmen auf die ganzen Beschränkungen, wurden massiv die schlimmen Nachrichten aus Italien, Spanien etc. gebracht, jetzt, nachdem die Maßnahmen geschluckt sind, geht es wieder in den Beruhigungsmodus zurück.“

Schlimmer noch: Statt der Regierung wird weiterhin die Opposition kritisiert, gegen jedes journalistische Ethos. So lautstark die allzu offensichtlich im Vorfeld versagende Bundesregierung gelobt wird, so massiv wird nun die AfD, bei der Politiker die Gefahr erkannten, kritisiert, und es wird ausgerechnet ihr Versagen in der Corona-Krise vorgeworfen: Panorama, eine Sendung des NDR, die in der ARD läuft, widmete diesem gerade einen ganzen Beitrag. Das ist die Quadratur des Kreises und an Dreistigkeit kaum zu überbieten – und man braucht kein Freund der AfD zu sein, um das armselig zu finden. Corona entlarvt: Die Macher von Tagesschau und heute sowie viele ihrer Kollegen sind keine Journalisten mehr, sie sind Offiziere an der Informationsfront.

Umgekehrt gibt es aber immer noch Kollegen und Redaktionen, die sich dem verwahren. Auch da ist Corona enthüllend – es zeigt, wer Rückgrat hat. Etwa der Deutschlandfunk. Der ließ – obwohl selbst öffentlich-rechtlicher Sender, Stimmen zu Wort kommen, die anderen öffentlich-rechtlichen Sendern Hofberichterstattung vorwerfen: „Seit Wochen treten immer die gleichen Experten und Politiker auf, die als Krisenmanager präsentiert würden…dadurch inszeniere das Fernsehen zugleich Bedrohung und exekutive Macht – und betreibe „Systemjournalismus“. Vor allem der Norddeutsche Rundfunk falle durch eine ,besondere Form der Hofberichterstattung´ auf.“ Der NDR hat auch die oben erwähnte Panorama-Sendung produziert.

Dabei entlarvt der NDR nicht nur seine regierungstreue «Haltung», Obwohl die öffentlich-rechtlichen Anstalten weiter auf die Gebühren setzen können, und der linke Sender sich in seinem Programm ganz edel gibt und zu Hilfsaktionen aufruft («Hamburg hält zusammen»), handelt er selbst völlig anders und lässt die eigenen freien Mitarbeiter offenbar hängen, wie Berichte nahelegen: Der Sender empfiehlt ihnen, sich Urlaub zu nehmen, oder sich gegebenenfalls. arbeitslos zu melden. Wie unsozial, und was für eine Doppelmoral!

Erstaunlich ist auch das Maß an Besserwisserei, das man erlebt. Oft hat man den Eindruck, es gäbe in Deutschland Hunderttausende Virologen, die bestens mit der Materie vertraut sind und sich befugt sehen, zu allem ihre fundierte Meinung zu haben. Man fühlt sich fast als Versager, wenn man, wie ich, ganz offen eingestehen muss, von der Masse an widersprüchlichen Informationen regelrecht erschlagen zu sein und sich nicht erlaubt, eine fundierte Meinung zum Virus zu haben.

Die Besserwisserei kann auch gefährlich sein: Als ich am 31. Januar auf twitter nach meiner Ankunft am Moskauer Flughafen das Bild links veröffentlichte und beschrieb, wie alle Mitarbeiter und Beamten dort bereits (einfache) Schutzmasken trugen, verstand ich zum ersten Mal, dass die Beschwichtigung in Deutschland vielleicht falsch ist, und die Gefahr größer sein könnte, als man in Berlin annahm. Damals machten sich viele lustig über mich und spotteten. Motto: „Hilft doch nichts!“. Heute lese ich vom Top-Virologen Alexander Kekulé bei Focus Online: Aus Hongkong wüssten sie inzwischen, dass das Tragen der einfachen Masken, wie es dort alle tun, doch einen Effekt habe, das Virus unter Kontrolle zu halten.

Das Virus entlarvt nicht nur – es lehrt uns auch Demut. Alle, die bisher glaubten, wir hätten die Natur oder gar das Schicksal insgesamt gezähmt, müssen nun lernen, dass es eher umgekehrt ist.

*) Manche Reaktionen haben fast schon etwas besessenes – etwa, wenn Leute auf facebook schreiben, es sei unerträglich, dass ich so viel kritisiere etc.. Mich erinnert das an einen alten Witz, als in puritanischen Zeiten eine Frau zur Polizei kommt und Anzeige erstattet wegen Nacktbadern an einem See. Als der Polizist mit ihr an die Stelle kommt, sagte er: „Aber da ist doch alles umzäumt, man sieht doch gar keine Nackten. Worauf die Frau im Brustton von Überzeugung und Empörung antwortet: „Von wegen, Herr Wachtmeister, wenn man hier auf den Baum steigt, von oben, da kann man die Nackten sehr gut sehen!“


Bild: Unspash

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