Die Corona-Populisten Wie sich Medien und Politik gegenseitig hochschaukeln

Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern soll in diesen Tagen. Über die vielen Widersprüche? Oder darüber, dass sie so viele gar nicht wahrnehmen, geschweige denn hinterfragen? Insbesondere Journalisten, deren Aufgabe genau dieses Hinterfragen wäre. Da sagt etwa Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), dass wir keinen Notstand haben. Aber es werden Maßnahmen ergriffen, die nur bei einem Notstand gerechtfertigt sind. Es ist von höchster Dringlichkeit die Rede, gleichzeitig können die Maßnahmen bis Montag warten. Aber wer deswegen nachfragt, ist „Corona-Ketzer“.

Man kann viel darüber streiten, ob die gravierenden Einschnitte wirklich nötig sind – die etwa bei Restaurants sogar über die Maßnahmen im stärker betroffenen Spanien deutlich hinausgehen. Das Argument, dass bei stark ansteigenden weiteren Fallzahlen die Medizin bald überlastet sein könnte, wiegt sehr schwer. Das wegzureden, wäre verantwortungslos. Genauso verantwortungslos ist es aber auch, die Argumente gegen einen Lockdown unter den Tisch fallen zu lassen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KBV) und andere Organisationen wie der Deutsche Hausärzteverband und der Spitzenverband der Fachärzte, zu dem  zahlreiche Bundesverbände gehören, machen sich für einen anderen Kurs stark: Eine Konzentration auf den Schutz von Risikogruppen und eine bessere Kommunikation der schon gültigen Hygienemaßnahmen.

„Eine pauschale Lockdownregelung ist weder zielführend noch umsetzbar“, kritisierte der  KBV-Chef Andreas Gassen. Ebenso erfreulich wie überraschend ist, dass in den Medien breit über die Kritik der Ärzte berichtet wurde. Selbst Tagesschau.de brachte einen Bericht. Das ist zumindest ein Anzeichen dafür, dass kritische Stimmen nicht mehr einfach so unter den Tisch fallen. Wohl auch, weil sie dazu zu laut und zahlreich sind.

Faktisch tut die Regierung genau das, was sie sonst anderen so gerne vorwirft: Sie agiert populistisch. In einem unheilvollen Zusammenspiel von Medien und Politik, die sich gegenseitig aufstacheln bei einem regelrechten Wettlauf um härtere Maßnahmen und drastischere Schritte. Der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl schrieb: „Mich beunruhigen seit Monaten die vielen Trompeter im Corona-Panikorchester. Sie verbreiten Angst und Schrecken. Als Medienforscher beobachte ich mit großer Sorge den Overkill, mit dem Leitmedien, insbesondere das öffentlich-rechtliche Fernsehen, aber auch Zeitungen wie SZ oder FAZ, über die Pandemie berichten. Meine These: Nicht die Regierenden haben die Medien vor sich hergetrieben, wie das Verschwörungstheoretiker so gerne behaupten. Vielmehr haben die Medien mit ihrem grotesken Übersoll an Berichterstattung Handlungsdruck in Richtung Lockdown erzeugt, dem sich die Regierungen in Demokratien kaum entziehen konnten.“

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Mehr noch: Ein Lockdown ist in gewisser Weise risikolos für die Regierenden: Wie immer sich die Zahlen weiter entwickeln, sie können sie zu ihren Gunsten auslegen. Gehen die Neuinfektionen zurück, können sie den Lockdown als Erfolg verkaufen. Steigen sie weiter, können sie sagen, ohne die Maßnahmen wäre es noch schlimmer gekommen. Der Weg, den die Ärzte vorschlagen, hätte dagegen Mut erfordert und die Fähigkeit, auch Gegenwind etwa durch negative Medienberichte zu ertragen. Eine Eigenschaft, über die im System Merkel kaum noch jemand verfügt, wie schon die sogenannte „Flüchtlingskrise“ 2015 zeigte. Wir sind in der dramatischen Situation, dass ein gefährliches Virus auf eine Riege von Schönwetter-Politikern trifft. Unser Staatsschiff ist auf hoher See in einem kräftigen Sturm. Auf der Kommandobrücke stehen Süßwassermatrosen. Die es vorziehen, das zu tun, was die Passagiere in der ersten Klasse im Salon mit den individuellen Luxus-Rettungsbooten empfehlen: Die Passagiere der zweiten und dritten Klasse abzuriegeln. Auch auf die Gefahr hin, dass es sie so durchschüttelt, dass ihre Existenz in Frage gestellt ist, dass sie mit dem Schiff untergehen. Das scheint auf dem Oberdeck kein großes Thema zu sein.

Es fehlen in diesen stürmischen Zeiten Kapitäne vom Schlage eines Konrad Adenauers oder Helmut Schmidts, die natürliche Autorität hatten. Stattdessen wird im Stile von Notverordnungen mit einer im Grundgesetz gar nicht vorgesehenen Konferenz von Kanzlerin und Länderchefs am Parlament vorbeiregiert. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann, der genau das heftig kritisierte, starb wenige Augenblicke kurz vor einem Live-Auftritt im ZDF. Die Zahl der anderen prominenten Kritiker aus den etablierten Parteien ist sehr überschaubar. Wir haben neben einem Gesundheitsnotstand – den wir laut Laschet gar nicht haben – auch einen Verfassungsnotstand: Die Gewaltenteilung ist in Gefahr, die Grundrechte sind in Teilen nicht mehr gültig. Und noch erschreckender: Nur wenige scheint das zu kümmern. Ja, viele scheinen geradezu begierig auf die Einschränkung ihrer Freiheit zu sein. Der alte, überwunden geglaubte „Hurra-Patriotismus“ wacht in einem ganz neuen Kleid wieder auf – nur diesmal statt mit Kriegseuphorie mit Corona-Maßnahmen-Euphorie.

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Bild: nuvolanevicata/Shutterstock
text: br


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