Merkels Thüringen-Zitate gestrichen Umstrittene Aussagen zu MP-Wahl von Kanzlerseite gelöscht

Eine der Eigenheiten, mit denen es Josif Stalin, geborener Dschugaschwili, in die Geschichtsbücher schaffte, waren neben Massenmorden Foto-Mogeleien. Während seiner blutigen Regentschaft ließ der Tyrann frühere Mitstreiter, die in Ungnade fielen, einfach weg­re­tu­schie­ren. Getreu seinem Motto: „Wenn der Mensch weg ist, ist auch das Problem weg.“ Egal ob Mensch oder Papier: Was ihm nicht passte, ließ der gebürtige Georgier einfach verschwinden.

Nein, ich ziehe keine Parallelen zwischen Angela Merkel und Josif Stalin. Das wäre völlig absurd. Aber was soll ich dagegen machen, dass mir zuerst Josif Stalin in den Sinn kam, als ich heute erfuhr, dass erneut umstrittene Aussagen der Kanzlerin wie von Geisterhand von der Internet-Seite der Bundesregierung verschwunden sind. In diesem Fall: Ihre Worte zu der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD in Thüringen im Februar dieses Jahres. Neben Südafrikas Präsidenten Cyril Ramaphosa sagte Merkel dazu in Pretoria, der Vorgang sei „unverzeihlich“, das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden.

Die AfD zog wegen dieser Aussagen im Juli mit zwei Organklagen vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Und siehe da: Auf einmal hat die  Bundesregierung die Ausschnitte und Protokolle der Kanzlerin mit den umstrittenen Passagen von der Seite der Kanzlerin und der Regierung löschen lassen. Dies sei geschehen „mit Blick auf das derzeit anhängige Eilverfahren und in der Erwartung, dass der Streitgegenstand im noch ausstehenden Hauptsacheverfahren umfassend geklärt wird“, hieß es aus dem zuständigen Bundespresseamt.

Freud´scher Versprecher?

Will die Kanzlerin also nur juristisch auf Nummer sicher gehen? Und gar nicht die eigenen Aussagen, die ja weiter auf vielen Seiten im Internet zu finden sind, vergessen machen? Das mag sein. Doch auch im Juli gab es merkwürdige Unterschiede zwischen ihren Aussagen und dem, was auf ihrer Seite erschien. Die Großmeisterin der verbalen Nebelkerzen sagte beim 120.000 Euro teuren Treffen mit ihrem Möchtegern-Nachfolger Markus Söder am Chiemsee nämlich einen Satz, der aufhorchen ließ: “Sie wissen, dass ich als Bundeskanzlerin ja sozusagen nicht mehr zur nächsten Wahl antrete.“ Als Spezialist für postkommunistische Systeme musste ich bei dem „ja sozusagen“ sofort aufhorchen. Ein Freud´scher Versprecher der Kanzlerin? Man soll nicht sofort das Gras wachsen hören, sagte ich mir. Bis ich das Zitat googelte. Und herausfand: Auf der Seite des Bundeskanzleramtes fehlt es. Ebenso wurde es bei vielen Zeitungen herausgestrichen.

Eine nachträgliche stilistische Korrektur, könnte man nun beschwichtigend sagen. Aber bei so einem wichtigen Punkt? Ob hier der Wortlaut einfach so ohne Absprache mit der Chefetage geändert wird, ist fraglich. Und merkwürdig ist die fast schon parallele Streichung in so vielen Medien. Schon Anfang Juni war es zu einer Merkwürdigkeit bei dem Thema gekommen. ZDF-Journalistin Bettina Schausten fragte die Kanzlerin damals: „Die Krise ist nicht zu Ende, das fordert ja vielleicht auch etwas von Ihnen. Denken Sie manchmal darüber nach, dass Sie in Verantwortung bleiben müssen, vielleicht auch für eine nächste Kanzlerkandidatur zur Verfügung stehen.“

Eine perfide Art der Fragestellung – was aber dem flüchtigen Zuschauer kaum aufgefallen sein wird. Richtig wäre gewesen, zu fragen, ob Merkel eine fünfte Kandidatur ausschließt. Ob sie darüber nachdenkt, ist eine Wischiwaschi-Frage. Und die Antwort – nein, sie denkt nicht darüber nach – ist so verbindlich wie die Reaktion eines notorischen Rasers auf die Frage, ob darüber nachdenkt, mit dem Rasen aufzuhören. Interessant ist, was dann die Nachrichtenagenturen aus der Stelle im Interview machten – und damit die meisten Leser und Zuschauer im Land zu lesen bzw. zu hören bekamen: „Spekulationen über eine mögliche fünfte Amtszeit erteilte Merkel erneut eine klare Absage.“ Genau das tat sie eben nicht.

So absurd meine erste Assoziation mit Stalin auch war – wie ich ganz offen zugebe: Sie kam doch nicht ganz von ungefähr. Denn ihr Umgang mit Worten wirkt doch sehr sozialistisch. Ob da die politische Sozialisierung als verantwortlicher Kader in der kommunistischen FDJ eine Rolle spielte? Man könnte dagegen halten, dass auch Adenauer sagte: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“ Allerdings ist bei dem nicht bekannt, dass er dieses löschen ließ.

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Bild: LuxD/istock
Text: br

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