Moria: Einheimische bedroht von marodierenden Migranten Ein Tag unter Migranten auf Lesbos: Frontbericht III von Rebecca Sommer

Frontbericht III von Rebecca Sommer

Lesbos, 16.9.2020: Vorgestern war ich den ganzen Tag mit einigen afghanischen Familien im abgeriegelten Riesengebiet um das Familienaufnahmelager “Kara Tepe” zusammen , die ich seit zwei Monaten hier vorab im abgebrannten Moria Camp kennengelernt habe und denen ich von Herzen zugetan bin. Was nicht bedeutet, dass sie eine Asylgrund haben, auch wenn es mir für sie echt leid tut.

Einige haben trotzdem schon Asyl erhalten, aber stecken hier fest wegen Corona oder anderen Sachen, andere wurden schon mehrfach abgelehnt, andere stecken noch mitten drinnen im Asylverfahren.

Jeder hat seine tragische Geschichte, sei es auch nur die, umsonst Geld ausgegeben-,  Haus und Hof oder Geschäft verlassen zu haben, sprich, bis nach Griechenland gekommen zu sein und nun hier festzustecken.

Ich hatte vorab angekündigt ihre Wäsche abholen, um sie in die Waschmaschine zu stecken, weil doch zur Zeit noch keine Waschräume hier stehen. Und ich wollte mir auch ein besseres Bild von der Realität vor Ort machen. 

Die Hauptstrasse, die von der Hauptstadt Mythilini hinausführend am Meer entlang auf die Türkei blickend zum anderen Teil der Insel führt, ist kurz nach verlassen der Stadt für mich und die Einheimischen abgeriegelt. Man muss einen riesigen Bogen bis zu einem Golf und dann wieder in der Kurve bis zum Moria-Dorf und hindurch fahren, um zum abgeriegelten Gebiet von hinten an das Kara Tepe Gebiet und hintere Absperrung zu gelangen. Was die Einheimischen Zeit und Benzin kostet. (Seit gestern darf man gar nicht mehr hinein.)

Um die abgeriegelte Strasse herum befindet sich ein Riesengebiet, wo die Migranten sich frei bewegen können, bis zum Meer hin und ins Inland gehend,  wo nun die ganzen Migranten verstreut ihre Behausungen aufgebaut haben, und wo das schon länger bestehende Familienflüchtlingslager Kara Tepe auf einem ehemaligen Militärgelände direkt am Meer liegt. 

Das Militär musste, trotz der grossen Gefahr und ständigen Aggression, die ständig von der Türkei ausgeht, und der strategisch günstigen Lage,  das Gelände räumen (samt Geheimdienst), um die bestehende Infrastruktur den Flüchtlingsfamilien zur Verfügung zu stellen. Nun liegt das Familienlager an der Meeresseite von der Strasse, an der Hauptstrasse, die nun von den Migranten u.a. bewohnt, bzw. belagert wird. An dieser stehen Geschäfte, Lidl & Co, Lagerflächen, dazwischen Ruinen, Grosshandel,  und alles mögliche an Privat-  oder Geschäftsgebäuden. Das trifft auch für die Seite zum Landesinneren hin zu, weg von der Strasse bis hin zum Dorf Moria. 

Steinhäuschen noch aus Uropas Zeiten

Hügelige unbebaute Landschaften dazwischen, Olivenhaine, die den Einheimischen gehören, mit kleinen uralten Steinhäuschen noch aus Uropas Zeiten. 

Ziegen, Esel, angepflanzte Gärten dazwischen. Ein alter Mann hinter einem Zaun, der mit seinen 10 Hunden im Garten Wache sitzt. Mit Eisenrohr am Tisch angelehnt. 

Vom Moria-Dorf, Richtung der abgeriegelten Hauptstrasse, immer mehr Müll. Müll. Noch mehr Müll. Es macht mich wütend, es macht mich beklommen. Wann werden die Dorfleute endlich Ruhe bekommen? Diese sitzen an strategischen Punkten und schieben Wache in den Hügeln, wie auch die Leute vom Nachbardort Panajuda.

Vereinzelte Gruppen von Migranten am Strassenrand, eine Gruppe klettert gerade über einen Zaun zu einem Haus. Wieso laufen die hier alle so frei herum? Was macht bitte schön die Polizei, um die Einheimischen und nicht nur die Bewohner der Inselhauptstadt zu schützen?

Zur absoluten Demütigung der Moria-Dorfgemeinde wurde ihre eh schon ständig geschändete Kapelle, nahe am ehemaligen, abgefackelten Moria-Camp, wo ich noch zur Zeit davor Talibanmänner mit Schusswaffe habe sitzen sehen,  von irgendwelchen NGOs und Migranten besetzt. Zelte, drumherum. Alle religiösen Dinge nun komplett entfernt, eine Hülle, einst der Stolz der Dorfleute, wo sie drinnen gebetet und die Kapelle liebevoll in Stand gehalten haben. 

mvg

Als die Dorfbewohner die Migranten entfernen wollten, wurden sie mit Messern und einem Schussgerät (keine Ahnung wie das heisst) angegriffen. Die Polizei macht nichts, laut dieser können die Migranten anscheinend da bleiben, weil es wohl irgendwas mit einer NGO zu tun hat und so geregelt worden sei.  Keiner weiss genaueres. Ich werde mich Morgen noch einmal genauer informieren.

Die Dorfleute, alle schon mit Gerichtsverfahren am Hals, müssen aufpassen. So wie bei uns ist erst der Einheimische dran, den das Gesetz in voller Härte trifft. Der Neuhinzugezogene bekommt auch hier auf der Insel einen fetten Migrationsbonus, und kann oft machen was er will. Häuser und Kirchen besetzten, stehlen, hauen und stechen, nach dem Motto- da kann man nichts machen, dass ist bei denen so üblich.

Einer der Moria-Dorfbewohner, die sich hochgradig mutig und dickköpfig gegen die Verfestigung und Ausweitung des Moriacamps gegen die Regierung gestellt haben- man schaue mein erstes Video an, wie sie auf das Auto des Ministers für Migration draufhauen und er schnell weg düst    wurde beim Protest gegen die Präsidentin von Griechenland, die ein Krankenhaus dort einweihen wollte, angeschossen mit einem Gasgewehr (ich glaube, so heißt es). Wegen seinem auf Facebook hochgeladenem Bild im Krankenhaus, und seinem Begleittext,  dass es die Polizei war, die ihn verletzte, wurde er verhaftet und sass mit den anderen eine Nacht im Knast und hat deswegen nun ein Strafverfahren am Hals. So berichtete er es mir.

Es sind über hundert ,wenn nicht weitaus mehr, darunter Schwerst-Kriminelle,  beim Brand des Moria-Camps von der Polizei aus dem Gewahrsam freigelassen worden, damit sie nicht verbrennen, so berichtete mir gestern einer der Sicherheitskräfte. Die laufen jetzt auch hier frei herum.

Die 35 Corona-Infizierten, wegen denen der Brand überhaupt angefangen haben soll,  weil die sich dagegen verwehrten, in Quarantäne zu gehen, sind auch noch nicht gefunden worden.

In Kara Tepes eigentlichem Absperrgebiet ankommen, an der Strasse,  sah ich gleich einen “Ärzte ohne Grenzen”-Transporterwagen,  mit kranken Menschen,  die abgeholt wurden.

Waffe Marke Eigenbau auf Lesbos

Eine Essensausgabe-Schlange wurde gerade gebildet, eine für die Frauen, all mit Kopftuch, ausser einigen Afrikanerinnen, eine Reihe nur für die Männer.

Endlos lang, trotzdem kann man sofort sehen, es sind keine 13 000 Leute im neuen Kara Tepe Gebiet. 

Das deckt sich mit den Aussagen der Inselbewohner, von denen viele in kleinen Gruppen Tag und Nacht Wache schieben, und mit teils bewaffneten Migrantentruppen zusammentreffen, welche u.a. in Privathäuser einbrechen und generell die ganze Gegend unsicher machen. Und andere, die sich einfach nur verstecken, weil sie nicht nach Kara Tepe wollen.

Dass die Essensausgabeschlange in nur zwei Reihen erfolgt, hat einen Grund. Kaum ein NGO-Voluntär traut sich nämlich diese schiebenden teils hochgradig aggressiv werdenden hauptsächlich Männer in Schach zu halten. Das sagt doch was aus, oder? Generell haben die meisten Helfer und NGOs Angst gehabt,  alleine in den wilden Teil des eheml. Moria- Camp zu gehen. 

Dass es wieder Randale wegen der Essensausgabe gab, weil einstige Helfer unter den Migranten nun aber als Essensverteiler von den NGOs abgelehnt wurden, kann ich sogar verstehen. Ich wäre darüber auch sauer. 

Das Essen ist das selbe wie immer, wie schon zu Moria-Camp Zeiten. Es gibt also nicht, wie Katrin Göring Eckardt falsch behauptetet, nicht genug zu Essen. Das muss sie gewusst haben, stand sie doch auch genau wie wir alle auf dem Berg, wo sie ihr Interview für die Presse gab, auf weggeschmissenen, nicht einmal aufgemachten Essensbehältern, die überall dort verstreut herumlagen. Oder sie hat nicht auf den Boden geschaut.

Ich traf einen jungen Afghanen, F., dem ich bei seinem Asylwiderspruch helfen werde. Er hat eine Frist, und die ist bald abgelaufen.  Ich mag ihn einfach. Seine Behausung auf der Strasse hat er selber gebaut, Schilfrohrstöcke mit Plastiktüten zusammengeknotet. 

‘Faschisten. Rassisten und der ganze Krams‘

Ein Iraner spricht mich an, erzählt mir von den bösen Insulanern, die das Camp in Feuer und Flammen hat aufgehen lassen. Faschisten. Rassisten und der ganze Krams. Ich gebe ihm Zunder, sage ihm, er lügt, ich wisse Bescheid. Werde sauer. Sein Mund fällt runter. Grummelnd geht er.  F. sagt mir dann vor der laufenden Kamera, dass ihm die Campbewohner selber sagen,  dass sie das Camp abgefackelt haben. “Das Camp war nicht gut, wir wollen Freiheit, wir werden behandelt wie die Tiere.” Freiheit will ich auch, wer will das nicht? Deshalb fackle ich aber nicht meine Wohnung und die meiner Nachbarn ab, obwohl ich lieber woanders wohnen möchte. Schlussendlich geht es doch nur darum, dass alle weiterziehen möchten und viele der Migranten dachten,  dass sie durch das Feuer Griechenland und Europa erpressen können. 

Tun sie ja auch.

Auch vergass F., dass ein jeder der Camp-Bewohner überall hin konnte, sich frei bewegen konnte, es also kein Gefängnis war.  

Vorher lebte er mit einer sehr netten Familie im Camp selber zusammen. Die ist jetzt weiter oben.  Dahin gehen wir, wir versammeln uns mit mehreren Familien.

Die Frauen und Mädchen stehen schüchtern hinter mir, während die Männer und Jungs auf dicken sauberen Armeedecken im Kreis sitzen.

Wie schon in den Flüchtlingsheimen in Berlin erkläre ich, auf die Decken klopfend: Wir sind hier auf europäischem Boden, wo Männer und Frauen gleichwertig zusammensitzen. Sie sollen sich auch dazugesellen, so machen wir das hier bei uns. 

Alle wollen wissen, wie geht es weiter. “Wann haben wir unseren neuen Zelte? Wo werden die stehen? Wie lange sollen wir hier bleiben? Nimmt uns Deutschland, wie wir hören? Unsere Kinder haben keine Schulen, benötigen Bildung. Die Essensausgabe dauert Stunden. Das Essen schmecket nicht. Wir haben nur für einen Tag Wasser bekommen, andere bekamen ganz viele Flaschen. Wann kommen die Toiletten, Duschen, Waschräume?”

Zur Zeit gehen alle in die Mutter Natur. Peinlich und/oder gefählich vor allem für die Mädchen und Frauen. 

Sie befürchten, dass das neue Camp strenger, organisierter werden wird, sie also weniger Möglichkeiten haben würden z.B. unterzutauchen, um einen neuen Antrag zu stellen. Sie haben Angst, nicht mehr raus zu können. Was aber nicht passieren wird. 

Ein Vater hat schon Asyl bekommen, zusammen mit seiner Frau und seinen zwei minderjährigen Töchtern. Drei erwachsene Söhne wurden allerdings abgelehnt. Ich bespreche mit ihm hin- und her, was das zu bedeuten hat. Entweder er geht seinen Weg hier weiter,  in das Land seiner Wünsche, denn das ist die Realität in Europa, oder er kehrt zurück nach Afghanistan mit der gesamten Familie, denn alle drei Söhne haben keine Chance mehr auf Asyl, laut ihren Unterlagen. Er will sich das überlegen, schlussendlich gibt es ja auch 2000 Euro für Rückkehrer und einen Freiflug bis nach Hause. Die Tage gibt er mir Bescheid, ich werde seiner Familie dann helfen, bei den Formularen.

Ein anderer, mit bildschöner Mutter, spricht schon ein bisschen Deutsch, das hat er hier im Deutschunterricht der NGOs gelernt. Beide haben Asyl erhalten, stecken hier nur fest wegen Corona. 

Wir machen zum Schluss Gruppenfotos, ich ziehe mit F. weiter. 

Ich sehe, wie Menschen an einem dicken Wasserschlauch mit Löchern ihre Wasserflaschen vollfüllen. Ein schönes Privathaus steht da, belagert von Migranten. “Das nutzen wir als Toilette”, so erklärt mir F. „Der arme Besitzer”, begehre ich auf.  “Es ist nicht unsere Schuld” sagt F. darauf. Beide haben wir recht. 

Überall sind Gebäude besetzt worden. Der Lidl, bei dem ich noch vor kurzem einkaufte, ist zugeschlossen und verrammelt, davor Horden an Leuten, Zelten, provisorischen Bauten. Drinnen entsteht nun ein Riesenschaden, alles wird dort vergammeln und schlecht werden. Alles hat was extrem Gespenstisches, besetzte Gebäude, Ruinen, überall in den Gebäuden sind Männer, Müll wohin man schaut. Wir gehen durch Natur,  ebenfalls voll mit Abfall und Plastik, und erreichen das Meer.

Die wunderschöne Bucht ist ebenfalls zugemüllt, im Wasser rollen hunderte an Wasserflaschen und anderem Weggeschmissenen, dazwischen baden einige Menschen. Einige weiter abseits, finstere Gesellen. Hier bleibe ich nicht! 

F. und ich setzen uns etwas abseits, mitten in der Natur und etwas weg vom Strand. Wir arbeiten über zwei Stunden, indem ich mit ihm ein Video-Interview mache wie bei UNHCR üblich. Dieses werde ich transkribieren und für ihn seinen Widerspruch gegen seinen zweiten angelehnten Asylantrag einreichen. Denn er hat in seinem griechischen Interview fast nichts von dem erzählt, was ihm aber zum Asyl verhelfen könnte. Auch berate ich ihn,  was er an Belegen zu organisieren hat. 

F. ist wie auch die Familien, genau das Problem für mich. Lieb sind sie und herzlich untereinander. Sie sind keine Jihadisten, noch ist F. überhaupt ein Muslim, im Gegenteil. Seit der Taliban ihn entführte und trainierte, ist er gegen den Islam. 

Genau betrachtet könnten sie aber alle in ihre Heimat zurückkehren. 

F. hätte nur weg von seinem Dorf und raus aus dem Talibangebiet gehen müssen. Aber durch diesen Pullfaktor einer verfehlten Asyl und Migrationspolitik der EU, wo der eine Asyl erhält, der andere aber nicht, ist es einfach ein Lottospiel, und genau deshalb kommen die Leute. 

Hier Rebecca Sommers Video zu dem Bericht:

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Rebecca Sommer ist eine internationale, seit 2012 in Berlin sesshafte deutsche Menschenrechtlerin, Künstlerin, Journalistin, Fotografin, und mehrfach preisgekrönte Filmemacherin. Bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland 2012 engagierte sie sich mit ihrem speziellen beratenden Status bei den Vereinten Nationen (ECOSOC) im UN-Hauptquartier als auch in Genf für Menschenrechte, mit speziellem Fokus auf Indigene Völker und Völkerrecht. Sie arbeitete über eine Dekade lang mit dem OHCHR und dem UNPFII, aber auch mit bei Flüchtlingsangelegenheiten und mit dem UNHCR zusammen. Über eine Dekade lang nahm sie an den UN-Verhandlungen zur Deklaration der Rechte Indigener Völker teil, die auch durch ihre Mitwirkung 2007 von fast allen Staaten adoptiert wurde.
 Sie besuchte und unterstützte unzählige Indigene Völker auf der ganzen Welt und brachte Menschen- und Völkerrechtsdokumentationen bei den UN vor, organisierte Kampagnen und klärte über die Menschenrechtsverletzungen gegen Indigene Völker in UN-Berichten, in Bild, Schrift und Film auf. Als gefragte Indigenen -Völkerrechtsexpertin produzierte sie im Auftrag der Vereinten Nationen den Film „Indigene Völker und die UN“. Weiterhin nahm sie bis 2014 an den UN-Klimaverhandlungen (UNFCCC) teil und ist war Mitglied in der UN Major Group „Climate Justice Now“ und Mitglied im U.N. NGO Menschenrechtskommittee. Sie arbeitete als Redakteurin in großen britischen Zeitschriften wie Scene, The Face und Spirit Magazine und in amerikanischen Zeitschriften wie Black Book und Madison. Sie lebte und arbeitete in Indien, Groß-Britannien, Brasilien, Südafrika und in den USA. Seit dem Jahr 2012 engagiert sie sich für die Menschenrechte von Flüchtlingen in Europa und gründete und leitet bis heute die „Arbeitsgruppe Flucht + Menschenrechte“ (AG F + M), ein Netzwerk, welches Flüchtlinge in Berlin unterstützt. 2018 gründete sie die nichtinstitutionalisierte Initiative an der Basis und ist für diese die Verantwortliche im Sinne der Presse (V.i.S.d.P.)

Bilder und Text : Rebecca Sommer

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